aus der Interim 399 vom 28.11. 1996
  Vorwort: Was wird aus Berlin?


Eine Frage, die alle zu bewegen scheint außer die linksradikale Szene dieser Stadt. Erstaunen, Fassungslosigkeit und Erstarrung oder das Erleben der eigenen Schwäche in unseren Reaktionen sind zu erkennen, doch was noch?

Es mag sogar allerlei sinnvolle Einzelintiativen geben, doch eine breitere Diskussion, ob und wie wir in laufende und zukünftige Entwicklungen eingreifen können, gibt es nicht.

Wir wollen mit der Textsammlung sowohl für die theoretische Diskussion Anregungen liefern, als auch verschiedene Teilaspekte beschreiben, die für uns im Zusammenhang mit der Stadtentwicklungspolitik stehen. In diesem Punkt sind wir ganz und gar nicht vollständig, doch wird deutlich, daß sich unterschiedliche politische Ansatzpunkte überschneiden und es nahelegen, zusammen gedacht zu werden und eine Zusammenarbeit zumindest punktuell sinnvoll erscheinen lassen.

Als theoretischer Hintergrundartikel ist der erste Text zu "Glocalisierung" zu begreifen. Wir versuchen darin, den modischen Begriff der Globalisierung etwas klarer zu machen. Dabei möchten wir zeigen, daß die Städte die zentralen Knotenpunkte der globalisierten Weltwirtschaft sind und zugleich die Orte, "an dem die Globalisierung sich 'verräumlicht' und konkret wird." Warum versuchen die Städte, sich zunehmend wie Unternehmen zu gebärden und zu strukturieren? Welche Interessen kommen dabei zum tragen? Wer steht diesem Stadtentwicklungsmodell im Weg oder soll die Kosten dafür tragen?

Wie sich die stadtplanerischen "Visionäre" die europäische Stadtentwicklung konstruieren, wird in dem kurzen Textausschnitt aus dem Architektur-Fachblatt Arch+ deutlich. Hier wird die betriebene Hierarchisierung und Aufgabenverteilung der europäischen Städte eindeutig benannt.

Wo und wie in Berlin die planerische und bauliche Umsetzung der bisher hierher beschriebenen Prozesse stattfindet, ist Gegenstand des dritten Textes "Stadtentwicklung und Städtebau". Verschiedene Aspekte, die im ersten Artikel angesprochen sind, wie zum Beispiel die weichen und harten Standortfaktoren tauchen hier wieder auf unter der Fragestellung wie sie sich im Städtebau widerspiegeln. In der baulichen Umsetzung kommt oft das zum Ausdruck, was als Verschwinden des Offentlichen Raums bezeichnet wird. "Dies meint, daß ganze Areale/Plätze/Straßenzüge durch ihre Nutzung oder und durch Privatisierung zu Räumen definiert werden, welche nicht mehr jedem Menschen zugänglich sind. "

Die Beschreibung der Verhandlungen um das Tacheles hat dann die Ebene des einzelnen Projekts erreicht, das durch die immer weiter gehende Kommerzialisierung und Einbettung in ein 'Gesamtkonzept Mitte' auch zum verschwundenen Raum wird.

Den Text von Ruth Becker haben wir ausgewahlt, weil er zeigt, daß eine feministische Kritik der Stadtentwicklung über das Erkämpfen von "frauenfreundlichen" Räumen hinausgehen muß. Am zentralen Beispiel der Wohnungsbaupolitik stellt der Text den Zusammenhang her zwischen geplantem und planerischem Sexismus und Umverteilungsprozessen von unten nach oben. Der wichtige Aspekt der Vernichtung von billigem Wohnraum wird allerdings weder von Becker noch von uns tiefergehend behandelt.

Die Stadt war schon immer das Ergebnis und zugleich Ursache von Migration. Die "neue" Migration ist im direkten Zusammenhang mit neoliberaler Deregulierungspolitik zu sehen. Globalisierung bedeutet in diesem Kontext, daß der Markt in den Ländern des Trikont Gründe für weltweite Flucht schafft, zugleich aber auch zunehmend trikontinentalen Verhältnisse innerhalb der Metropolen benötigt. So haben wir einen Text mit in die Sammlung aufgenommen, der sich mit Flucht aus der ehemaligen SU nach Berlin befaßt. Er soll das Augenmerk auf einen konkreten Teilaspekt der Globalisierung richten und damit auf die Breite des Spektums der Themen überhaupt hinweisen.

Die "Sicherheit" ist Gegenstand des 7. Textes. Mit ihm soll deutlich gemacht werden, wie mit dem Diskurs zu Kriminalität und Sicherheit ein verändertes Konzept von Kontrolle und Ausgrenzung etabliert werden soll.
Erweiterungen polizeilicher Kompetenzen (Stichwort "gefahrliche Orte"), Diskussionen über Sicherheitszonen um/für Regierungsgebäude sind darin genauso enthalten wie die privaten Sicherheitsclienste, um die es in dem Artikel in erster Linie geht.
Ziel dieser Konzepte ist die "Lösung" sozialer Probleme dadurch, daß sie aus dem Blick, soll heißen: aus den Stadtzentren geschafft werden.

Zum Schluß versuchen wir, unsere eigene Stellung innerhalb dieser Entwicklungen zu betrachten und darüber nachzudenken, in welche Richtungen es weitergehen könnte.


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