"Global local glocal" |
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"Globalisierung" |
Der Begriff "Globalisierung" erlebt seit einiger Zeit eine gewisse Popularität. Von herrschender Seite wird er gerne ideologisch benutzt, um die neoliberalen Konzepte mit dem "Sachzwang Weltmarkt" zu legitimieren, dem sich niemand durch nationale oder lokale Politik entgegenstellen könne. Aber auch in der linken Rhetorik wird des öfteren und recht diffus von der Macht der "Globalisierung" geredet. Dabei bleibt etwas rätselhaft, was an dieser Stelle den Unterschied macht zu dem, was schon seit Jahrzehnten zu beobachten ist. Schließlich operiert das Kapital nicht erst seit gestern international. Und die Unterwerfung immer neuer Bereiche unter multinationale Verwertungsinteressen gehört genauso zum Kapitalismus dazu wie die Zerstörung der Bedingungen, die er ausbeutet. Was unterscheidet also die 'alte' internationale von der neuen globalen Ökonomie?
Während die multinationalen Konzerne füher vor allem die Durchdringung der nationalen Märkte im Auge hatten, geht es nun verstärkt um die Vorherrschaft auf einem Weltmarkt, der die nationalen Grenzen überwindet. Dabei organisieren die Konzerne ihre internen Fertigungsabläufe global, in einem Prozeß fortschreitender betrieblicher Dezentralisierung. Damit sind bestimmte Probleme hierarchischer Kontrolle und Ineffektivität besser in den Griff zu kriegen: Nicht alles muß über den Chef Tisch in der Zentrale und umgekehrt verliert die Zentrale um so mehr die Kontrolle, je weiter sie vom Produktionsstandort entfernt ist. Das kann zum Beispiel dazu führen, daß im Zuge sogenannter "vertikaler Desintegration" einzelne Produktionsabläufe aus dem Unternehmen komplett ausgelagert werden, weil es billiger ist, diese an eigenständige Betriebe zu vergeben. Das können hochspezialisierte, innovative, kleine High Tech Firmen sein, die dann als Zulieferer operieren, aber ebenso eine Reinigungsklitsche, die zu Niedrigstlöhnen die schmucken Glaspaläste putzt.
Wir haben es also auf der einen Seite mit wachsend oligopolistischer(1) und zentralisierter Macht zu tun, auf der anderen mit zunehmenden Tendenzen zur Auslagerung und Streuung in der Produktionssphäre. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch erscheint, ist aber das eigentlich Neue(2) an der Entwicklung. Einzelne Teile der Produktion können jeweils über den ganzen Globus an die Orte mit den optimalen, jeweils lokal unterschiedlichen Ausbeutungsbedingungen verteilt werden: Baden Württemberg für das innovative Milieu, Polen für billige HandwerkerInnenarbeit, China für monotone Massenproduktion etc(3). Gleichzeitig werden diese verstreuten Produktionsstätten logistisch in den großen Zentralen der ökonomischen Macht (gar "just in time") wieder zusammengefügt neue Kommunikationstechnologien und dramatisch gesunkene Transportkosten machen's möglich(4). Die Multis sind als "global players" durch ihre Netzwerkstrukturen den Nationalstaaten überlegen und können diese gegeneinander ausspielen. War der Weltmarkt der Nachkriegszeit dadurch gekennzeichnet, daß da Nationalökonomien miteinander in Konkurrenz traten (eben inter national), so hat beispielsweise die (....)
Damit ist zwar der Nationalstaat mitnichten arbeitslos (wie das mitunter behauptet wird). Aber die fordistische Allianz von Kapital, Staat und Gewerkschaften, die die Basis des "Wirtschaftswunders" im Nachkriegsdeutschland darstellte, zerbricht. Für das Kapital erweist sich der nationale Rahmen mittlerweile als zu eng, der Staat will und kann z. T. auch nur noch bedingt direkt Ökonomisch beispielsweise als Nachfrager intervenieren, und die Gewerkschaften verlieren aufgrund von Arbeitslosigkeit und sich ausdifferenzierenden Arbeitsverhältnissen zunehmend ihre ursprüngliche Basis und Macht: Die breite Arbeiterlnnenschaft.
Bedeutungszuwachs der Stadt "Think globally, act locally" |
Kommt "Fordismus" vom Ford? |
Die Phase des Kapitalismus, die wir hier als "fordistisch" bezeichnen, war gekennzeichnet durch die Durchsetzung von Lohnarbeit, größtenteils am Fließband. Die dadurch erreichbare hohe Produktivität zerstörte andere, z B. subsistenzwirtschaftliche Formen der Produktion. Der eigentliche 'Clou' dieser Gesellschaftsformation lag in der Koppelung von ökonomischer Expansion und dem Wachstum der Masseneinkommen. Die vergleichsweise hohen Löhne ermöglichten die Durchkapitalisierung des Reproduktionsbereichs, d. h. die ArbeiterInnen sahen sich sowohl in der Lage als auch gezwungen, die Massenprodukte zu kaufen, die sie in einem Prozeß extrem intensivierter Produktion hergestellt hatten. So konnte der ökonomische Kreislauf geschlossen und die ArbeiterInnenschaft befriedet werden.
Der Automobilhersteller Henry Ford hat den Fordismus nicht erfunden, aber wesentlich geprägt. In den Ford Werken wurden in den 20er Jahren erstmals relativ hohe Löhne gezahlt und die ArbeiterInnen in einen Prozeß intensivierter Produktion eingebunden, dem viele lange Zeit nicht gewachsen waren. Ford interessierte sich daher auch für die Zeit, in der "seine" ArbeiterInnen nicht arbeiteten, sich reproduzierten. Er erkannte, daß nur eine Arbeiterln, die sich auch in der Freizeit ständig diszipliniert, ebenso diszipliniert arbeiten kann. Diejenigen, die in seinem Sinnen einem disziplinierten Lebenswandel nachgingen (kein Alkohol, keine Exzesse, "ordentliche Verhältnisse", Kleinfamilie etc.) wurden entsprechend belohnt.
Basis des Fordismus (und oft in ihrer Bedeutung vernachlässigt) ist die Durchsetzung der Ideologie der Kleinfamilie in der Arbeiterlnnenschaft. sollte so viel verdienen, daß seine Frau nicht zu lohnarbeiten brauchte und sich ganz der Reproduktion der ausgelaugten (männlichen) Arbeitskraft widmen konnte. Diese Arbeit wurde in der Ideologie der Kleinfamilie zu "Liebe" umgedeutet. Sosehr sich die Ideologie der Kleinfamilie durchgesetzt hatte, sowenig entsprach sie der Realität eines Großteils der Frauen, die weiterhin lohnarbeiten und Reproduktionsarbeit nahezu allein verrichten mußten.
Städtebaulicher Ausdruck des Fordismus ist die funktionsgeteilte, moderne Stadt. Nach dem Prinzip der Fabrik organisiert, verbinden große Straßen die verschiedenen Bereiche (Arbeiten, Schlafen, Freizeit, Konsum). Das ideologische Prinzip der fordistischen Stadt liegt in dem Anspruch an eine gewisse soziale Gleichheit und eine Vereinheitlichung der Kultur und des Raums. Lokale Unterschiedlichkeiten werden als 'Ungleichzeitigkeiten' gefaßt, die es zu modernisieren und zu beseitigen gilt. Voraussetzung, in dieser Stadt angemessen leben zu können ist der Besitz eines Autos das Symbol des Fordismus.
Globalisierung bedeutet eben nicht so sehr, daß überall auf der Welt die gleiche Musik gehört und das gleiche Brausegetränk geschlürft wird Vielmehr ist das beschriebenen Zusammenspiel von Dezentralisierung und Rezentralisierung, von globaler Grenzenlosigkeit und ganz spezifischen lokalen Bedingungen der entscheidende Punkt. Auf manchen Ebenen ist als Folge der Durchkapitalisierung eine weltweite Angleichung zu beobachten, grundsätzlich sind gerade die jeweiligen (nationalen, regionalen, lokalen) Unterschiede Basis des Globalisierungsprozesses und gleichzeitig deren Ergebnis. Manche sprechen von einem umgestülpten Imperialismus und meinen damit, daß sich in der Peripherie und auch in den Metropolen zunehmend Unterzentren und Unterperipherien ausdifferenzieren(5). Andere sprechen von einer Zersplitterung und Ausdifferenzierung räumlicher Strukturen. Die Stadt, die Region gewinnt dabei an Bedeutung; sie ist der Ort, an dem die Globalisierung sich "verräumlicht" und konkret wird. Das internationale Kapital konzentriert dabei in sog. "Global Cities" seine Macht und seine Finanzen. Gleichzeitig kommen Teile der Peripherie als Flüchtlinge in eben diese Zentren.
"Die Welt Städte sind Motoren der Internationalisierung, insofern sie Magnete für Einwanderung und Kapitalinvestitionen sind, aber auch insofern aus ihren Zitadellen heraus die Unterwerfung anderer Orte und Regionen auf dem Globus geplant und exekutiert wird. Sowohl externer Imperialismus als auch interne Kolonisierung (auch der immigrierten Bevölkerung) sind das Hauptgeschäft der World City"(6).
In dem Maße, wie Nationengrenzen für das Kapital durchlässiger werden, supranationale Wirtschaftsräume (wie die EU) den Fluß von Kapital, Informationen und Arbeit erleichtern, werden die Städte zunehmend zu eigenständigen Akteurinnen oder versuchen als solche aufzutreten. Sie "begeben" sich sozusagen direkt auf den Weltmarkt bzw. sind dort entsprechend internationaler Konkurrenz ausgesetzt
Dabei betrachtet der lokale Staat zunehmend "seine" Stadt wie ein Unternehmen und immer weniger als Gemeinwesen. Um beim Wettlauf der Städte und Regionen mithalten zu können, muß eine solches Unternehmen 'fit' gemacht werden:
Das "Unternehmen Stadt" |
Die Umstrukturierung nach innen hat zum Ziel, "überflüssige" Kosten abzubauen (z. B. durch eine "Verschlankung" der Verwaltung) oder "Reibungsverluste" aller Art zu minimieren. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, was da am meisten reibt und stört. Nach außen hin gilt es, möglichst viel der zukunftsträchtigen Industriezweige und Dienstleistungen anzulocken und die entsprechenden Konzerne dazu zu bewegen, sich in der Stadt niederzulassen. Das kann z. B. dadurch geschehen, daß attraktive Flächen als Bauland zur Verfügung gestellt werden und diese möglichst noch zu Preisen, die weit unter dem Marktwert liegen(7), oder in anderen Formen direkter und versteckter Subventionierung.
Ein anderer wichtiger Faktor für die Attraktivität eines Standortes ist die Ausstattung mit der gewissen Infrastruktur. Und schließlich kann von keinem Konzern verlangt werden, selbst für diese aufzukommen. Die Formel "lean production fat enviroment" macht deutlich, daß innerbetriebliche "Verschlankungs"-Strategien eng verknüpft sind mit dem Vorhandensein von Infrastruktur, ausgebildeten Arbeitskräften und einigermaßen befriedeten politischen Rahmenbedingungen. Das, was als Berliner "Sparhaushalt" in die Geschichte eingehen soll, ist ein massives Umverteilungsprogramm von unten nach oben. Denn sowohl der milliardenschwere Ausbau der Messe als auch der entstehende Hochtechnologiepark "Adlershof' sind von Kürzungen verschont geblieben. Wie oben beschrieben werden die und darunter vor allem bestimmte Städte zunehmend zu den Orten, an denen sich die globalen Märkte lokal niederschlagen. Dabei kommt also der Ausgestaltung der konkreten physischen Infrastruktur zum Transport von Waren, Arbeit und Information eine wachsend zentrale Bedeutung zu(8).
"Weiche Standortfaktoren": |
Ein Konzern ist ja auch nur ein Mensch, oder sagen wir: er wird von Menschen geleitet. Das sind nicht irgendwelche Menschen, sondern solche, mit ganz bestimmten Vorstellungen von ihrem beruflichen wie privaten Leben . Um einen Konzern in die Stadt zu locken, empfiehlt es sich daher auch, es besagten Menschen in der Stadt möglichst angenehm zu machen. Jede Stadt wirbt deshalb zunehmend auch mit den sog. "weichen Standortfaktoren": Lebensqualität, Luxuswohnen, Kulturereignisse, Konsumerlebnisse etc pp.
Dort wird dem Bedürfnis nach einer "lebendigen Urbanität Rechnung getragen aber immer noch kombiniert mit der bürgerlichen Sehnsucht einer gewissen Heimeligkeit. Aber während die neuen Mittelschichten(9) urbanen Flair wünschen, sehen sie sich gleichzeitig mit dem Umstand konfrontiert, daß im öffentlichen Raum angesichts immer weniger die Atmosphäre eines Wohnzimmers unter freiem Himmel herrscht. Zum einen, weil Urbanität immer mit (Groß )Stadt und damit auch mit Fremdheit, Anonymität, Widersprüchen etc. verkoppelt ist und zum anderen, weil sich dort auch die wachsenden gesellschaftlichen Polarisierungstendenzen niederschlagen. Ausdruck des Versuchs, diesen Antagonismus irgendwie doch noch aufzulösen, sind die Passagen und Malls, in denen eine Art Pseudo Öffentlichkeit inszeniert wird. In den hermetisch abgeschotteten Binnenwelten der Passagen wird ein "draußen" simuliert bis hin zu künstlichen Wäldern oder plätschernden Wasserfällen unter Glaskuppeln Diese Raume werden umgekehrt zunehmend als Prototyp des neuen öffentlichen Raums überhaupt angesehen: Die Innenstädte als eine einzige große Einkaufspassage in gediegener Mittelschichtsatmosphäre, in der man/frau unter sich bleibt. Bei den meisten dieser werbeträchtigen Projekte besteht ohnehin keine große Gefahr einer unerwünschten Vermischung. Kaum eine türkische Putzfrau verirrt sich in ein hochsubventioniertes Opernfestival, der Arbeitslose ergeht sich eher selten im Luxuskonsum und auch für Obdachlose ist die hochwertige Wohnlage nicht wirklich eine interessante Option. Der Ausschluß zu diesen Räumen vermittelt sich über Geld und äußere Erscheinung. Und dort, wo das nicht ausreichen sollte, tun Glastüren, Sicherheitsdienste und Bundesgrenzschutz(10) ein übriges.
Von der Kleinfamilie zum Single oder DINK |
Für diese neuen Mittelschichten sind die innenstadtnahen Quartiere aber nicht nur attraktiv, sondern für ihre Lebensweise notwendig. Während sich die Lebensweise der alten fordistischen Mittelschichten durch eine Zentrierung auf den privaten Haushalt auszeichnet, die wiederum nur auf der Basis geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung möglich war, so existiert bei den neuen Mittelschichten diese Haushaltsform kaum noch. Entweder wird allein oder zu zweit gewohnt, wobei im letzten Fall die Frau meist auch berufstätig ist. Mittlerweile machen die Haushalte mit drei oder gar mehr Personen, zumindest in den Großstädten, nur noch eine relativ kleine Gruppe unter den Haushalten aus. Bei aller Ideologie, die mit dem sog. "Familienlohn" verbunden war(12): Für viele ist die "klassische" fordistische Lebensform, die Kleinfamilie, als Lebensform entweder nicht mehr interessant oder nicht mehr praktizierbar. Dadurch verändern sich aber auch die Bedürfnisse, um die persönliche Reproduktion gewährleisten zu können
Wenn daheim nach der Arbeit nicht das Abendessen auf dem Tisch steht, geht mensch eben ins Restaurant. Wer seine freie Zeit nicht im trauten Familienkreise verbringt, für den wächst die Bedeutung eines Bekanntenkreises, der sich in einschlägigen Kneipen oder entsprechenden Kulturereignissen ohne großen Organisationsaufwand antreffen läßt. Unter diesen Bedingungen ist das Häuschen in der Vorstadt nicht mehr unbedingt der Traum im Grünen, vielmehr werden innenstadtnahe Wohnorte attraktiver. Und wenn sich bei eigener und hausfraulicher Abwesenheit die Wohnung nicht mehr von selbst putzt, sucht man sich jemanden, die das tut. Wenn dabei auf eine der unzähligen Migrantinnen zurückgegriffen wird, bleibt es auch erschwinglich.
Moderne Dienstleistungsgesellschaft? |
An dieser Stelle zeigt, welch unterschiedliche Konsequenzen der vielzitierte "Wandel der Lebensstile" für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen hat. Während gerne so getan wird, als nähme das Maß an individueller Freiheit und Entscheidungsfähigkeit für den/die EinzelneN zu, so zeigt sich vielmehr, daß genau die Klassen mit der Definitionsmacht ihren Lebensstil in Form von demonstrativem Konsum stilisieren können, während unter gesellschaftlichen Polarisierungsbedingungen die anderen zwischen Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe oder illegaler Beschäftigung wählen können.
Auch im Zusammenhang mit den Begriffen "Dienstleistungsgesellschaft" oder "postindustrielle Gesellschaft" wird oft ein Bild entworfen, von einer Stadt, in der es keine "schmutzige" Industrie mehr gibt und alle in gepflegter Erscheinung ihren Klimanlage-gekühlten Tätigkeiten nachgehen. Zwar nimmt tatsächlich die Zahl der Beschäftigten im Industriesektor ab(13), das heißt aber nicht daß nicht mehr industriell produziert wird, sondern eben mit weniger ArbeiterInnen und vielleicht nicht im unmittelbaren Stadtgebiet. Und hinter der Zunahme der Beschäftigung im Dienstleistungssektor verbergen sich zwei ganz verschiedene Trends: Zum einen nimmt der Anteil derjenigen zu, die in den gut bezahlten und hochqualifizierten Positionen unterkommen (Finanzgeschäfte, AnwältInnen, Werbung, Management etc.) und gleichzeitig nimmt die legale und illegale, jedenfalls meistens prekäre Beschäftigung im absoluten Niedriglohnsegment zu (Gastgewerbe, Botlnnen, Bewachungspersonal, Reinigungsarbeiten, Baby Sitten etc.). Diese schlecht bezahlten Dienstleistungstätigkeiten machen den oben beschriebenen Arbeits und Lebensstil der neuen Mittelschichten überhaupt erst möglich. So wie die veränderten Produktionsbedingungen andere Lebensweisen sowohl hervorbringen wie auch voraussetzen, so verändern gewandelte Lebensweisen auch die Nachfrage nach Arbeit.
Gentrification |
Verändert wird selbstverständlich auch die Nachfrage nach Wohnraum. So wird nicht nur die City umgewandelt, damit die neuen Mittelschichten dort ungestört Konsum und Arbeit nachgehen zu können, sondern es findet zudem noch ein Angriff auf die innenstadtnahen Wohnquartiere statt. Dieser als "Gentrifcation" bezeichnete Prozeß führt dazu, daß Luxusmodernisierungen und Umwandlungen in Eigentum billigen Wohnraum vernichten. Dieser Prozeß wird noch von staatlicher und kommunaler Seite dadurch verschärft, daß man die Bindungen im Sozialen Wohnungsbau auslaufen läßt(14), daß Luxus Aufwertung unterstützt(15), und das Mietrecht gelockert wird. Während der soziale Wohnungsbau drastisch heruntergefahren wird (2,8 Mrd. an Bundesmitteln), macht der Staat für die Eigentumsförderung immerhin 17,5 Mrd. Iocker. Welche Schichten in den Genuß dieser Mittel kommen, ist unschwer abzuschätzen(16).
Das alles führt dazu, daß die angestammte Bevölkerung entweder verdrängt wird oder nur mit erheblich höheren Mieten ihre Wohnung halten kann. Gleichzeitig wird das Leben im Kiez insgesamt teurer, weil die lokale Infrastruktur sich an den neuen finanzkräftigeren BewohnerInnen orientiert; für die ärmere Bevölkerung wird die eigene Nachbarschaft fremd und unbezahlbar.
Perspektiven? |
Angesichts solcher Prozesse ist mensch fast geneigt, der fordistischen urbanen Vergesellschaftung nachzutrauern. Dies hieße aber dann doch dem Mythos aufzusitzen, der ja gerade von der Linken bekämpft wurde. Angesichts von Edelmodernisierungen in der Innenstadt mögen die Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus plötzlich in den Regenbogenfarben der Klötze am Böcklerpark erleuchten. Aber nachdem wir jahrelang Kahlschlagsanierung, Stadtautobahnbau, die Unwirtlichkeit der Großsiedlungen, den Sexismus im Wohnungsbau und in der Struktur der Eigenheimsiedlungen, die Ödnis der Innenstädte, die ökologischen Verwiistungen der Suburbanisierung usw. als Ausdruck der fordistischen Stadtentwicklung bekämpft haben, können wir jetzt nicht dabei stehenbleiben, tatsächliche oder gar vermeintliche fordistische Errungenschaften zu verteidigen.
Beim Kampf gegen fordistische Stadtentwicklung ging es u.a. darum, sich dem Vorhaben der Planer(innen?) entgegenzustellen, die aus der Stadt einen homogenen Raum machen wollten. Alles, was im fordistischen Kompromiß keinen Platz hatte, sollte einer funktionalistischen Auffassung von Stadt weichen. Heute werden Differenzierungen innerhalb der Stadtstruktur von den Herrschenden gewünscht und vorangetrieben. In Frankfurt haben die GRÜNEN vorexerziert, wie mittels des Diskurses um urbanen Multikulturalismus drastische soziale Unterschiede kulturalisiert und zur "Vielfalt der Lebensstile" hochgejubelt wurden.
Wir beabsichtigen mit dieser Textsammlung, das Neue in der Auseinandersetzung um die Stadt deutlich zu machen. Dabei möchten wir nicht so verstanden werden, als sei die Zurichtung der Stadt auf das Tauschwertinteresse der Herrschenden nur noch eine Frage der Zeit. Zwar haben die urbanen gesellschaftlichen Ausschlußprozesse zweifellos eine neue Qualität erreicht. Aber die öffentlichen Plätze, die Wohnquartiere, die Passagen, die Brachen bleiben weiterhin umkämpftes Terrain schon allein aufgrund ihres Gebrauchswertes für die BewohnerInnen. Es gibt einige TheoretikerInnen, die der Straße die Bedeutung zuweisen, die einstmals der Fabrik zukam. Sie sei angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Desindustrialisierung, sozialer Polarisierung und Ausdifferenzierung zum zentralen Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen geworden. Dabei stellen sich Bündnisse oder Allianzen auch auf der Straße natürlich nicht von selbst her. Möglicherweise bieten aber eine Analyse und eine Praxis, die über solche, wie die hier formulierten Ansätze hinausgehen, Anknüpfungspunkte.
Anmerkungen: |