aus Interim Nr. 399/28.11.1996
 Stadtentwicklung- Städtebau


Dieser Text hat die städtebauliche Entwicklung als einen wesentlichen und wahrnehmbarsten Teil der Berliner Stadtentwicklung zum Thema. Im Städtebau drückt sich plastisch aus und wird baulich umgesetzt, was oft als Verschwinden des öffentlichen Raums bezeichnet wird. Dies meint, daß ganze Areale/Plätze/ Straßenzüge durch ihre Nutzung oder und durch Privatisierung zu Räumen definiert werden, welche nicht mehr jedem Menschen zugänglich sind. Der Umfang dieser sogenannten, maximal noch halböffentlichen Räume oder besser Räume für die Hälfte bzw. zwei Drittel der privilegierteren Menschen, ist noch nicht abgesteckt.

Städtebau ist in Berlin die Mischung des Absurden und des Größenwahn, das läßt einen einerseits Erstaunen, andrerseits in Ohnmacht erstarren. Wichtige städtebauliche Projekte sind ja bekannt, vorne an die Zentralen am Potsdamer Platz, das Regierungsviertel im Spreebogen und der Lehrter ICE Bahnhof, dazu sollen in den nächsten Jahren noch der Bereich um die Spreeinsel (Volkskammer/Schloß/Auswärtiges Amt), der Alex und die Gegend um den jetzigen Hauptbahnhof kommen.

Des weiteren gibt es die innerstädtischen "Entwicklungsgebiete", mit unterschiedlicher Gewichtigkeit. Beispiele sind der Schlachthof Eldenaerstraße (hier sind das Geld und die Ideen ausgegangen), die Wasserstadt Oberhavel (das einzige Projekt im Westteil, noch aus Mauerzeiten) oder den Wissenschaftstandort Adlershof. Es folgen die neuen Vorstädte u.a. in Karow, Rudow, Falkensee und Drewitz. Das ganze garniert mit dem sogenannten "Speckgürtel" der Großkaufhäuser und "Zentren", der die Stadt inzwischen umschließt. Diese Aufzählung ist absolut nicht vollständig, sondern soll die strukturellen städtebaulichen Schwerpunkte jenseits von Baulückenschließungen und Stadtrekonstruktion verdeutlichen.

 Die neue Mitte

In Berlin entsteht momentan eine neue, künstliche Stadmitte. Gebildet durch Potsdamerplatz, Lehrter Bahnhof und Regierungsviertel. Um dies möglich zu machen, sind die zu bestaunenden Kunstgriffe notwendig, damit das komplexe Gebilde überhaupt zumindest formal-technisch funktionieren kann. Ob es als Stadtzentrum mit Regierungssitz taugt, daran wird selbst in Fachkreisen gezweifelt. Funktionieren heißt in diesem Zusammenhang, wenige teure Wohnungen bzw. viel teure Bürofläche zu verkaufen, den Kommerz zum Blühen zu bringen, Unliebsames zu vertreiben und trotzdem Urbanität zu schaffen.

Die Schaffung und Erschließung einer angestrebten zentraleren städtebaulichen Struktur Berlins mit Regierung, Potsdamerplatz und Lehrter Bahnhof ist nur durch die Untertunnelung dieser Projekte möglich. Diese durch die Tunnelorgie geschaffene nordsüd Richtung ist im Stadtgrundriß nie vorhanden gewesen, außer bei den Planungen der Nazis. Zusätzlich liegt das Regierungsviertel mit ost west Ausrichtung, der nord süd Verbindung als Barriere im Weg und trennt Potsdamerplatz und Lehrter Bahnhof. Beide Orte, die durch ihre Funktion Magnetwirkung haben sollen, Anziehungspunkte und Drehscheibe für die NutzerInnen sein müssen, damit sich der gewünschte Effekt einer funktionierenden City einstellt, haben somit keine urbane Verbindung. Diese ist nur durch die Tunnel möglich, denn der Kanzler soll seine Ruhe haben und seine Sicherheitsexperten auch. So könnte es passieren, daß der künftige Lehrter Hauptbahnhof sich auch ohne Mauer in einer Art Randlage befinden wird.

Vor solchen, durch die Vielschichtigkeit und Schnelligkeit der Planungen selbst produzierten Effekten haben die Verantwortlichen natürlich Schiß. Ebenso wie davor, daß dieses neue Zentrum nicht angenommen oder akzeptiert wird. Darum wird auch nun im Vorfeld viel (Sommer )Spektakel, Schaustellen oder die Infobox betrieben, um die Bevölkerung für die eigentlich finanziell nicht zu vertretenden Planungen zu gewinnen. Das große allgemeine Interesse an diesem Geschehen sagt jedoch nicht viel über die wirkliche Akzeptanz aus. Schließlich waren auch die LeserInnen dieser Zeilen (nehme ich mal an) schon mehr oder weniger komplett in der Infobox und bestaunten das Geschehen.

Wenn nun nach Fertigstellung die neue City "tot" bleibt, d. h. urban nicht zu beleben ist, wäre dies ein riesiger Imageverlust für Berlin. Ebenso wie die nicht rechtzeitige Fertigstellung des Ganzen. Da ohne Not ein Zeitlimit gesetzt wurde, welches zum "Boom"erang werden kann, wenn es nicht eingehalten wird. Denn international wird aufmerksam verfolgt, ob Deutschland seinen eigenen Größenwahn, in den Griff bekommt und logistisch wie wirtschaftlich in der Lage ist selbst gesteckte Aufgaben zu realisieren. Würden sich Umzug und Fertigstellung nur wenige Jahre verschieben, kann der Schaden für den ''Standort Deutschland'' und Berlin immens sein und es wäre ein Rückschritt bei dem Bestreben, Berlin als Ost/West Drehscheibe für die Kapitalisierung Osteuropas zu profilieren. Durch diese Funktion soll Berlin in der Konkurrenz/Hierarchie der Städte international zur Weltstadt aufsteigen. Dafür ist es gewollt, ein wirkliches auch gebautes Zentrum zu präsentieren.

Wie ein solch künstlich hochgezogenes Zentrum angenommen werden wird oder ob es doch nur tote Stadt bleibt, darüber ist schon, speziell zum Potsdamerplatz, genug geschrieben worden. Der Lehrter Bahnhof hingegen ist schon nicht mehr so in der Diskussion, obwohl der Kraftakt, ein Bahnkreuz in der Stadtmitte zu installieren der vorhandenen Stadtstruktur entgegensteht.

 Die dezentrale Stadtstruktur

Berlin ist eine sogenannte polyzentrische Stadt, dies drückt sich u. a. auch durch die ehemaligen Bahnhöfe aus. Ähnlich wie in London, Mailand oder Paris gab und gibt es in Berlin für jede Himmelsrichtung einen eigenen Bahnhof. Am Zoo nach Westen, Lichtenberg nach Osten, der Hauptbahnhof nach Süden und früher Hamburger Bahnhof, Nordbahnhof und Lehrter Bahnhof nach Norden, Görlitzer, Anhalter und Potsdamer Bahnhof nach Süden und Westen. Bei einigen dieser Bahnhofe wäre es kein Problem gewesen, diese zu reaktivieren und teilweise geschieht dies ja auch wie in Spandau oder an der Papestraße. Mit einem Schwerpunkt auf den öffentlichen Personennahverkehr wäre es auch kein Problem, diese Bahnhöfe miteinander zu vernetzen. Dies gelingt in den genannten Städten sehr gut. Stattdessen wird ein zentraler Bahnhof in die Stadt hinein operiert und somit veraltete Verkehrskonzepte umgesetzt, welche mehr (Auto )Verkehr erzeugen als verhindern. Mit all den eigentlich bekannten Folgen.

Ein anderer Bereich, an der die Dezentralität Berlins angegriffen wird, sind die Bezirke. Hier gibt es einen hohen Grad an Identifikation in der Bevölkerung und es gab bisher ein relatives Maß an eigener Kompetenz. Diese wurde in den letzten Jahren Zug um Zug durch Weisungsanordnungen von Senat oder Bund, eingeschränkt. Ein zweiter Schritt soll, mit dem Hebel der sogennanten Finanznot der Stadt, die Zusammenlegung von mindestens einem Drittel der Bezirke sein. So werden die Bezirke Stück für Stück geschwächt, so daß eine bisher wenigstens im geringen lokalen Maße mögliche Einflußnahme der Menschen auf die Geschehnisse der eigenen Wohngegend immer weiter verschwindet.

 Die Konsequenzen

Bei dem Versuch, Berlin umzustrukturieren bzw. einen Platz im Netz der Global Cities zu erkämpfen, kann die normale Bevölkerung nur verlieren. Die Wohnqualität in der Stadt wird sich dadurch zusehens verschlechtern. Privatisierung aller möglichen Bereiche, weiter steigende Mieten, mehr Verkehr etc...

Der wichtigste (linke?) Aspekt bei Städtebaupolitik, der Wohnraum, spielt bei der Planung im Berliner Zentrurn kaum eine Rolle (in der Regel 20% max. 30% Luxuswohnungen). Hier dreht es sich bei Neubauten fast ausschließlich um Eigentumswohnungen und auch bei bestehendem Wohnraum ist die Umwandlung in Eigentum eindeutige Vorgabe.

Die offizielle Antwort auf die Wohnraumfrage ist an den Stadtrand geschoben worden. Die dort entstehenden Vorstädte entsprechen den Erkenntnissen der letzten 100 Jahre bei Stadterweiterungsprojekten. Mit 2500 5000 Wohneinheiten nicht zu groß (wie in den 60/70er Jahren) und nicht zu klein, um eigenständig zu funktionieren. Mit Infrastruktur und allem, was ein Stadtteil so braucht. Trotzdem werden diese Orte vermutlich eine Miefig und Spießigkeit ausstrahlen, da die potentiellen BewohnerInnen, wenn zwar nicht reich, aber dennoch privilegiert sein werden, da sie immer noch Arbeit etc. haben. So wird es keine soziale Durchmischung geben, sondern sich dort vermutlich eine monokulturelle, weiße, deutsche untere Mittelklasse etablieren. Heile Welt halt. (welche nicht dem Italo Flair oder der Kiez an Kiez Struktur linksalternativer/radikaler Städtebauvisionen entspricht, wenn es diese überhaupt gibt. Linksradikale Vorstellungen zu Stadtentwicklungen gehen meist nicht über die Forderung nach billigem Wohnraum hinaus. Modelle sind besetzte Häuser und Wagenburgen oder auch "Rettet unsern Kiez" Parolen, welche sich hart an der Grenze zur Besitzstandsverteidigung bewegen. "Wir bleiben", aber über den Rest machen wir uns keine Gedanken oder sind sprachlos, wenn das Kapital aktuell mal wirklich auf die Kacke haut. Dann sind wir froh, wenn wir in unseren Löchern davon verschont werden und hoffen das der Kelch noch mal an uns vorbei geht, oder mann/frau und Kind ziehen gleich aufs Land.)

Es stellt sich die Frage, an welchen Punkten und Orten sich radikale linke Politik in die städtbauliche Entwicklung einklinken kann und wie dies aussehen sollte. Eine verstärkte Imagebeschmutzung von brennender Straßenbahn bis zu Protest oder Störaktionen bei beispielsweise den noch kommenden Richtfesten, wie kürzlich von "Debis" in aller Ruhe zelebriert, wären eine Möglichkeit der Praxis, in der sich alle möglichen Aktionen auch ohne direkten Bezug einbinden ließen. Denn dies alles macht das öffentliche/mediale Gesicht Berlins aus. Gezieltere Aktionen zum Baugeschehen selber würden durch die eh schon vorhandenen Probleme der Verantwortlichen den sensiblen Planungsablauf ins Wanken bringen.

Ein weiteres Feld sollte die inhaltliche Auseinandersetzung mit der gebauten Stadtentwicklung sein. Hier ist der Zug zwar schon weitestgehend abgefahren. Doch auch zu den letzten weißen Flecken, wie der Spreeinsel gibt es keine Haltung, während sich die Bonzen nicht zu blöd sind, das Schloß wiederaufbauen zu wollen und so zu tun, als wäre dieses Jahrhundert deutscher Geschichte nicht vorhanden

Dies spiegelt sich auch in den prämierten Stadtgrundrissen vom Potsdamerplatz bis zu Alexanderplatz wider und setzt sich fort in der diktierten Fassadengestaltung der wiedererbauten zentralen Plätze welche nur im historischen (wilhelminischen) Gewand genehmigt werden. Bekannteste Auseinandersetzung hierum ist exemplarisch die Glasfassade der Akademie der Künste am Pariser Platz. Diese wird mit Abstrichen nun wohl doch gebaut werden können, jedoch als absolute Ausnahme. Ein Alibi, "erwürgt" durch eine vehemente Diskussion.

Ein weiterer Bereich, in dem eine politische Einflußnahme möglich ist, zeigt sich bei den aktuellen Diskussionen um die zusammengestrichene Finanzierung des Geländes "Topographie des Terrors" oder um die eines Holocaust Mahnmals zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz. Hier hat der Kanzler höchstselbst interveniert, da die Planungen zu groß ! seien. Es wird sich zeigen, wie der weitere Umgang mit diesen Orten sein wird.

All dies sind Bausteine, um der Stadt ein glattes Image zu verpassen. Diese Zurichtung der Stadt für die verschärfte Konkurrenz in der globalen Wettbewerbshierarchie und zur Negation der verbrecherischen Geschichte Berlins gilt es verstärkt zu thematisieren und vermehrt zu versuchen, den massenhaft bewegten märkischen Sand in die Getriebe nicht nur der Baufahrzeuge zu streuen.


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