Hamburg: Leerstand-zu-Wohnraum Demo |
Am Samstag, den 23. Oktober, gingen in Hamburg ca. 6.000 Menschen unter dem Motto "Leerstand zu Wohnraum" auf die Straße, um gegen steigende Mieten und Leerstand sowie für die Legalisierung von Hausbesetzungen zu demonstrieren. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis von 108 Initiativen, Vereinen und Organisationen. Bereits im Vorfeld der gestrigen Demonstration hatte es eine intensive Kampagne zu den Themen steigende Mieten und Leerstand gegeben. Initiativen aus der "Recht auf Stadt"-Bewegung kämpfen seit mehreren Monaten für eine soziale Wohnungspolitik der städtischen Wohnungsgesellschaft SAGA/GWG, nach der Besetzung des Gängeviertels kam es immer wieder zu Hausbesetzungen und seit dem Sommer war die Stadt mit Aufklebern von Avanti gepflastert, auf denen im Layout der Astra-Werbung zu lesen war: "Astraturm besetzen. Was dagegen?"
Das Bündnis "Leerstand zu Wohnraum" hatte für den 23. Oktober eine große Demonstration geplant, um v.a. auf den immensen Leerstand von Büroflächen hinzuweisen. Dieser beträgt inzwischen mehr als 1,2 Mio. Quadratmeter, und trotzdem wird weiter gebaut. Gleichzeitig mangelt es an bezahlbarem Wohnraum und die Mieten steigen stetig an. Der Hintergrund dieser "Absurdität des kapitalistischen Immobilienmarktes" (aus dem Aufruf) ist die Tatsache, dass leerstehende Gewerbefläche als Verluste von der Steuer abgeschrieben werden können. Die damit verbundene Knappheit von Wohnraum treibt wiederum die Mieten in die Höhe. Ziel der Demonstration sollte der Astraturm auf St. Pauli sein, der 2007 gebaut wurde, aber zu 70 Prozent leersteht. Im Vorfeld gelang es dem Demobündnis, 108 Gruppen als UnterzeichnerInnen des Aufrufs zu gewinnen.
Mit einer Pressekonferenz am 1. Oktober begann die "heiße Phase" der Mobilisierung. Während die VertreterInnen der bürgerlichen Presse vor dem Astraturm warteten, kam ein Umzugswagen um die Ecke gebogen und AktivistInnen begannen, ein provisorisches Wohnzimmer vor dem Turm zu errichten. In der Hamburger Morgenpost war am folgenden Tag zu lesen: "Stadtteilinitiativen fordern: Besetzt die Bürotürme!" (Mopo, 2.10.2010). Am 16. Oktober sorgte eine Hausbesetzung im Schanzenviertel für erneuten Wirbel in der Öffentlichkeit. Die BesetzerInnen, die ein neu renoviertes, aber fast vollständig leerstehendes Haus neben der Roten Flora für etwa drei Stunden besetzten, bezogen sich explizit auf die Demonstration. Während 300 UnterstützerInnen vor dem Haus standen, wurden Transparente "Miethaie zu Fischstäbchen" und "Leerstand zu Wohnraum" aus den Fenstern gehängt. Gegen 20 Uhr wurde das Haus von der Polizei geräumt. Erstaunlich war das große Echo, das diese Besetzung fand.
Ab 13 Uhr sammelten sich mehr und mehr Menschen auf dem Gelände des Universitätscampus. Nachdem erste Redebeiträge gehalten wurden, machten sich mehr als 5.000 Menschen in Richtung Astraturm auf den Weg. Bereits auf dem Uni-Gelände kam es zu mehreren Transparent- und Pyro-Aktionen am Rand der Demo. Das "Fronttransparent" der Demo bestand aus mehreren, mit den Slogans "Leerstand zu Wohnraum" und "Besetzung legalisieren" beschrifteten Umzugskartons. Insgesamt fuhren mehrere Wagen mit, neben den zwei Lautsprecherwagen ein Umzugswagen, ein Wasserwerfer der Bambulistas und ein Techno-Wagen der Hedonistischen Internationale. Parolen wie "Wohnraum für alle - und zwar umsonst!" und "Hinter dem Leerstand steht das Kapital, der Kampf um Wohnraum ist international" wurden gerufen. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Der autonome Block thematisierte neben Leerstand und Besetzungen auch die im November in Hamburg stattfindende Innenministerkonferenz (IMK).
Das Spektrum, das auf der Demo mitlief, reichte vom schwarzen Block, AktivistInnen aus dem Netzwerk "Recht auf Stadt" über Flüchtlinge aus dem Lager Horst bis hin zu GewerkschafterInnen von ver.di. Aus dem Flüchtlingslager Horst in Mecklenburg-Vorpommern waren etwa 50 Menschen, hauptsächlich Roma, angereist. Das Lager wird von Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern als Erstaufnahmeeinrichtung genutzt. Mit einem Hungerstreik hatten Flüchtlinge im September gegen ihre unzumutbaren Lebensbedingungen protestiert. Die Demonstration bog in die Marktstraße im Karolinenviertel ein und zog vorbei an einem leerstehenden Haus, das im November 2009 kurzzeitig besetzt worden war. Weiter ging es in der Feldstraße, wo es vor dem ehemaligen Real-Gelände eine erste Zwischenkundgebung gab. Ein leerstehendes Haus wurde temporär besetzt, Transparente aus den Fenstern gehängt. Mit Redebeiträgen wurde auf den Konflikt um die Zukunft des ehemaligen Real-Geländes und die Situation von MigrantInnen aufmerksam gemacht.
Die Demo zog weiter, vorbei am leerstehenden Mui-Hotel in der Budapester Straße. Auch in diesem Haus, das bereits im August temporär besetzt worden war, waren offensichtlich AktivistInnen gewesen. Ein Transparent "Hier entstehen 10 Sozialwohnungen" hing aus einem Fenster. Nach der Besetzungsaktion in der Feldstraße zeigte hier auch zum ersten Mal die Polizei Präsenz. Zu einer weiteren Transparent-Aktion kam es auf der Reeperbahn, als die Demo an den Esso-Häusern vorbeizog. Ein riesiges Transparent der MieterInnen-Initiativen Esso-Häuser und No BNQ wurde heruntergelassen.
Kurz vor dem Astraturm spaltete sich die Demonstration auf. Während der große Teil der Demo in einem Schlenker auf der offiziell angemeldeten Strecke vor den Turm zog, nahmen mehrere hundert Menschen den direkten Weg und bekundeten am Astraturm mit Steinen und Flaschen ihre Meinung zu 8000m2 Leerstand im Turm. Hier kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die die Menschen mit Pfefferspray und Tonfas angriff.
Die Polizei ließ es sich auch nicht nehmen, am Ende noch für Eskalation zu sorgen. Etwa 20 AktivistInnen wurden von Polizeikräften mit dem Vorwurf einer Spontandemonstration auf der Reeperbahn eingekesselt. Nach und nach wurden alle einzeln abgeführt, durchsucht und abtransportiert. Mehr und mehr Menschen von der Demonstration zogen nun zum Kessel und setzten sich mit lautstarken Sprechchören für die Freilassung der Betroffenen ein. Die Polizei fuhr daraufhin Wasserwerfer auf.
Insgesamt lässt sich aber ein positives Fazit der Demo ziehen. Das Konzept, ein breites Bündnis einzugehen, und dennoch radikalere Forderungen wie die Legalisierung von Besetzungen und die Vergesellschaftung von Wohnraum ins Gespräch zu bringen ist gelungen. Bereits im Vorfeld konnten eigene Positionen in der Öffentlichkeit transportiert werden. Temporäre Besetzungs- und Transparentaktionen am Rande der Demo und die direkte Aktion am Astraturm machten die Entschlossenheit deutlich, die Wohnungsfrage notfalls in die eigenen Hände zu nehmen.
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