Gestrige Veranstaltung zu Polizeiübergriffen in Hamburg


Gestern abend fand im Pastorat der Friedenskirche Hamburg – St. Pauli eine Informationsveranstaltung des Arbeitskreises „St. Pauli wehrt sich“ statt, die über die Möglichkeiten informierte, gegen die Verantwortlichen der Polizeiübergriffe der letzten Monate juristisch vorzugehen.

Gestern abend fand im Pastorat der Friedenskirche Hamburg – St. Pauli eine Informationsveranstaltung des Arbeitskreises „St. Pauli wehrt sich“ statt, die über die Möglichkeiten informierte, gegen die Verantwortlichen der Polizeiübergriffe der letzten Monate juristisch vorzugehen. Erfreulicherweise befanden sich unter den Betroffenen der Vorkommnisse auch einige JuristInnen, die bereits zusammen mit anderen Geschädigten Anzeige erstattet haben und von Ihren Erfahrungen berichten konnten.

#VERJÄHRENDE ANZEIGEFRIST# Besonders wichtig war der Hinweis, daß eine Anzeige gegen die Polizei (als Grundlage für eine spätere Klage) nur innerhalb einer Frist von drei Monaten ab dem Ereignis erfolgen kann. Danach ist ein ggf. vorhandener Anspruch verjährt. Für den Kessel vom 18.11.2002 bedeutet das, daß Geschädigte nur noch bis zum 18.02. die Möglichkeit haben, Anzeige zu erstatten!!!

#ERFOLGSAUSSICHTEN EINER KLAGE# Nach Ansicht der JuristInnen ist die Sachlage relativ eindeutig und die Aussicht auf Erfolg gut. Vor allem für die Ingewahrsamnahmen, die z.T. weit über das Ende der Demonstrationen hinaus fortgeführt wurden, trifft vermutlich der Tatbestand der Freiheitsberaubung zu. Eine Freilassung hätte spätestens nach Auflösung der Demo erfolgen müssen. Außerdem sei das Fesseln der Hände kaum zu vertreten, da die mit den HVV-Bussen abtransportierten sich weder gewehrt noch sonst eine Gefahr dargestellt hätten. Daß einige junge Frauen sich schließlich auf der Wache nackt ausziehen mußten für den Zweck einer „Leibesvisitation“ und dann noch einige Stunden nur notdürftig bekleidet in ungeheizten Zellen zubringen durften, dafür läßt sich zwar von Seiten der Polizei eine Rechtfertigung konstruieren, die aber vor Gericht wahrscheinlich wenig Bestand haben wird.

Es wurde außerdem dargelegt, daß die Erfolgsaussichten einer Klage nicht von der Anzahl der Kläger abhängen. Jedoch hätte eine Klage mit sehr vielen Klägern eine viel breitere Öffentlichkeitswirkung und würde deshalb auch in bezug auf künftige Handlungsweisen der Polizei deutlichere Auswirkungen haben. Allerdings ist es nicht möglich, eine Klage für eine Gruppe zu machen, wohl aber eine Vielzahl identischer Einzelklagen, denen die selben Bewertungsmaßstäbe zugrundeliegen, die jedoch individuell unterschiedliche Begebenheiten mit einbeziehen müssen.

#FINANZIELLE ABSICHERUNG DER KLÄGER# Ein wichtiger Punkt des gestrigen Abends war die Feststellung, daß es Möglichkeiten gibt, das finanzielle Risiko, das natürlich immer mit einer Klage verbunden ist, für den Betroffenen zu minimieren. Als ganz grober Orientierungswert für die Gerichtskosten bei einer Niederlage wurde eine Summe von etwa 400,- genannt. Kläger mit geringem Einkommen können Prozesskostenbeihilfe beantragen. Diese wird gewährt, wenn die Klage generell eine Aussicht auf Erfolg hat (was in diesem Fall so sein wird), und wenn das Einkommen gewisse Beträge nicht überschreitet. Dann werden die Prozesskosten entweder vollständig oder z.T. vom Staat getragen, wobei bei nur teilweiser Übernahme auch eine Ratenzahlung vereinbart werden kann. Außerdem besteht generell die Möglichkeit, wenn das Verfahren konkret vor der Tür steht, auf die Rote Hilfe zurückzugreifen oder z.B. mit Hilfe von Solidaritätsveranstaltungen für einen finanziellen Rückhalt zu sorgen. Letztendlich gilt aber: wenn der Kläger den Prozess gewinnt, übernimmt die gesamten Kosten der Angeklagte (d.h. in unserem Fall der Staat). Glücklicherweise gibt es eine ganz ansehnliche Zahl von solidarischen AnwältInnen, die ggf. bereit wären, ihr Honorar entsprechend anzupassen, und an die sich dann auch bevorzugt wenden sollte, wer jetzt doch noch eine Klage erwägt. Diese AnwältInnen sind sehr engagiert bei der Sache und haben bereits einen guten Kontakt untereinander aufgebaut, so daß eine optimale Prozessbetreuung stattfinden kann.

#GEDÄCHTNISPROTOKOLLE# Schließlich wurde noch die Bedeutung von und der Umgang mit Augenzeugenberichten diskutiert. Hier wurde vor allem klargestellt, daß nicht für alle Beteiligten eine Klage in Betracht kommt (z.B. wenn Kesselsituationen nur von außen beobachtet wurden), daß andererseits aber auch die Schilderung von scheinbaren Nichtigkeiten und winzigen Details denjenigen, die klagen, oder die eventuell selber auf der Anklagebank sitzen, eine sehr große Hilfe sein können. Deshalb erfolgt hiermit der nochmalige Aufruf, eigene Beobachtungen schnellstmöglich schriftlich festzuhalten und mit einer Bemerkung, ob der Bericht nur als Gedächtnisprotokoll oder aber zur Anstrebung einer eigenen Klage verwendet werden soll, an den

Ermittlungsausschuß c/o Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46, 20357 Hamburg,

zu schicken. Der EA hat hier ein Postfach, das regelmäßig geleert wird. Auf Wunsch bestätigt er den Eingang des Protokolls. Die Protokolle werden sicher verwahrt, nur an bekannte und am Prozess beteiligte AnwältInnen weitergegeben, und sind noch keine Zeugenaussagen. Eine Verwendung als solche erfolgt erst nach Rücksprache mit dem Schreiber! Wichtig ist auch der Hinweis, möglichst keine Protokolle per email zu verschicken, da bei dieser Übermittlungsform nicht garantiert werden kann, daß nicht auch Unbefugte sie lesen können.

Gegen Ende der Veranstaltung wurde vereinbart, den weiteren Verlauf der Klagen breitflächig zu publizieren. Wer direkt allgemeine Informationen benötigt, kann diese über stpauli-wehrt-sich@nadir.org anfordern.

[squat!net]


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