Hygiene für die City |
Zum 1. Januar ist den derzeit zehn BewohnerInnen des Platzes gekündigt worden. Das sei eine politische Entscheidung, empören sie sich, denn weder das zuständige Bezirksamt noch die Baubehörde erteilen Auskünfte über Kaufverhandlungen oder konkrete Bauvorhaben. Das Altonaer Liegenschaftsamt verschanzt sich hinter dem Datenschutz, die Vorbesitzerin, die städtische Grundstücksgesellschaft Sprinkenhof AG, weiß von nichts. Allein ein Planfeststellungsverfahren kündigt die Ansiedlung von Kleingewerbe an.
Derartige Kündigungen ohne einen wenigstens formell vorgeschobenen Baubeginn sind sogar für AnhängerInnen alternativer Wohnformen der Ausnahmefall. Angesichts des politischen Machtwechsels an der Elbe liegt der Gedanke nahe, dass der neue Senat, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, so genannten rechtsfreien Räumen den Kampf angesagt hat. Doch die CDU, die FDP und die Schill-Partei führen nur fort, womit ihre rot-grünen Vorgänger bereits begannen. Schließlich waren auch dem abgewählten Senat Bauwagenplätze ein Ärgernis. Bereits im August, einen Monat vor der Bürgerschaftswahl, wurde dem Schützenplatz der Pachtvertrag für das stadteigene Gelände gekündigt.
Staatliches Vorgehen gegen Bauwagenplätze ist heutzutage an der Tagesordnung. Mehr als 100 solcher Plätze gibt es in deutschen Städten und kaum einer von ihnen hat eine gesicherte Existenz. Mal ist es, wie in Berlin, ein Oberverwaltungsgerichtsurteil, das Wagenburgen als mit dem Baurecht unvereinbar bezeichnet, mal sind es »hygienerechtliche Belange«, die in Bayern und Baden-Württemberg gerne angeführt werden, mal ist es ein so genanntes Bauwagengesetz, das wie in Hamburg die Neuzulassung von Plätzen verhindert.
Als die SPD und die Grün-Alternative Liste (GAL) im Mai 1999 eine 43 Jahre alte Verordnung für »soziale Hygiene« abschafften, war auf den Wagenplätzen in der Hansestadt zunächst ein Aufatmen zu vernehmen. Wenigstens übergangsweise, so steht es in Paragraf 2 des neuen Wohnwagengesetzes, soll »Personen, die in Hamburg in Wohnwagen wohnen, bis zu ihrer Vermittlung in feste Wohnungen eine zeitweilige Unterbringung« ermöglicht werden. Das Gesetz brachte jedoch auch zwei Verschlechterungen. Einerseits wurden die Auflagen zur selbständigen Bereitstellung der Infrastruktur (Wasser, Toiletten etc.) restriktiver, andererseits ist nun nicht mehr die Bezirksverwaltung zuständig, sondern der Senat. Was das unter dem Innensenator Ronald B. Schill zur Folge haben kann, steht im Koalitionsvertrag: »Bei Bauwagenplätzen werden keine neuen Verträge abgeschlossen und bestehende Verträge fristgerecht gekündigt.« Innerhalb von fünf Jahren sollen alle Plätze geräumt werden.
Kein Wunder also, dass es die BewohnerInnen des Schützenplatzes für wenig sinnvoll erachten, mit Bausenator Mario Mettbach zu verhandeln. Der zweite Vorsitzende der Schill-Partei wusste auf Anfrage nichts von einem Wohnwagengesetz: »Wieso Verhandlungen? Leben im Bauwagen ist meines Erachtens verboten.« Er wolle »rechtsfreie Räume vermeiden und da, wo es zulässig ist, in Verhandlungen treten«.
Kaum anders die Haltung des Bezirksamtes Altona. Trotz eines damals noch bestehenden Pachtvertrages unter der Verwaltung der gemeinnützigen Ottensener Werkhof Grundstücksgesellschaft sagte Amtsleiter Uwe Hornauer im Oktober, es könne auf keiner Ebene eine Lösung für das Projekt geben. In der Präambel des Pachtvertrages der Stadt mit dem Werkhof aus dem Jahre 1998 steht dagegen, »dass diese besondere Wohnform nach Möglichkeit weiter praktiziert werden« soll.
Zurückgeführt wird der Wortbruch auf die neue Regierung, die auch in der Bezirksversammlung Altona seit September über eine Stimmenmehrheit verfügt. Die Umwandlung von Bauwagenplätzen in Wohnraum, erklärt der stellvertretende Altonaer Bezirksamtsleiter Kersten Albers, »haben wir schon immer unterstützt«. Er erwarte dennoch »keine Hau-Drauf-Politik«, der neue Senat suche nach »konstruktiven Lösungen«.
Wie die im Falle des Schützenplatzes aussehen könnten, ist offen. Die Politik und die Verwaltung wollen offensichtlich noch keine Verantwortung für die Räumung übernehmen. Trotz der Stimmungsmache Schills und des Normierungswahns der Städteplaner konnte sich in der Bevölkerung bisher keine breite Front gegen Bauwagenplätze bilden. Auch die rechtsextreme Hetzkampagne gegen einen Platz im Stadtteil Barmbek stieß Ende 1999 in der Nachbarschaft auf taube Ohren. Die CDU hat schon in ihrer Oppositionszeit regelmäßig Verbotsanträge eingebracht. Eine Bürgerschaftsabgeordnete der CDU bezeichnet es als »politischen Selbstmord«, in ihrer Partei für den Erhalt von Bauwagenplätzen einzutreten.
Den hat im Dezember 1994 der damalige SPD-Innensenator Hartmut Wrocklage fast begangen, als er mit Bewohnern des Wagenplatzes Bambule in einer Kneipe verhandelte, während nicht weit entfernt eine Straßenschlacht zwischen Autonomen und der Polizei tobte. Die Bambule ist mit ihren 30 Wagen gut sieben Jahre später der einzige von neun Hamburger Plätzen ohne Vertrag. Ihre BewohnerInnen befinden sich seit September in Alarmbereitschaft. Aber anders als in den achtziger Jahren setzt die Szene heute eher auf Verhandlungen denn auf Konfrontation. Gleich nach der Kündigung haben sich die Bewohner des Schützenplatzes auf die Suche nach einem Ersatz gemacht, auch auf dem Immobilienmarkt. Das Angebot der städtischen Wohnungsgesellschaft Saga, ein Gebäude in St. Pauli zur Verfügung zu stellen, bezeichnet eine von ihnen als »perspektivisch gut, auch wenn ich eigentlich im Wagen wohnen will«. Ein Nachbar nennt es einen Erfolg, dass die Gruppe wenigstens zusammenbleiben könne.
Immerhin scheint der Regierungswechsel die zersplitterte Wagenszene in Hamburg wieder zusammengeführt zu haben. Ein Vernetzungstreffen gleich nach der Wahl brachte mehr als 50 Leute an einen Tisch, und am 9. Februar findet ein Aktionstag auf allen Plätzen statt.
jungle world, 9. Januar 2002