Berliner Hate Parade zum 1. Mai |
Berlin Alles sprach für Gewalt, für Steine, Scherben, Knüppel, Blut. Denn Deutschland, das verhaßte, ferne, eigene Land, führt Krieg. Und die Heimat will man uns nehmen, die befreite Zone Berlin die Hauptstadt kommt. Und das alles unter Rot-Grün. Kann das System sich schöner entlarven? Gerade die Tatsache, daß Rot-Grün diesen Krieg führt, setzt in den Augen der Militanten ihren "revolutionären Kampf" ins Recht. Ihr Haß auf die öko-liberale Elterngeneration fällt noch heftiger aus als weiland auf Opa "Strickjacke" Kohl. Die liebste Haßfigur dieses 1. Mai ist Joschka Fischer. Schon früh, am Rande der DGB-Kundgebung, stößt ein falls es so etwas gibt Folk-Rapper hervor: "Oh, Joschka Fischer/ Du Oberspießer/ Du motherfucking Oberkiller." Noch klingt das vertraut. Wie Kabarett. Und milde lächelnd lauscht der gesetzte Gewerkschafter, der sozialdemokratische Lehrer, den Versen.
Am Mittag dann zeigt sich das schräge, leicht verwirrte und verlotterte Kreuzberg in einer ersten "revolutionären Mai-Demo". In loser Formation ziehen gut 1000 alte Freaks, junge türkische Kampfhundeführer, autochthone Bierbäuche, hübsche und krachlederne Mädels, bunte Pippi-Langstrumpf-Kinder und graue Kindsköpfe durchs Städtchen. Aus manchem Haus hängen Transparente. Auf einem steht: Berlin wird Bonn, aber Kreuzberg bleibt Kreuzberg. Klingt wie: Mainz bleibt Mainz, da helfen keine Pillen. Vielleicht sind die Bewohner Mainzer. Nichts passiert. Das Gerücht sagt: Richtig rund geht es am Abend.
Gegen 18 Uhr fährt ein Tieflader auf den Oranienplatz, mit gewaltigen Lautsprecherboxen, zwischen denen junge Menschen in modischen Sonnenbrillen und Overalls für Stimmung sorgen. Bis jetzt erinnert alles an die Love Parade: die Sonne, die Bässe, das Flaschenbier. Keine hysterisch-holprigen Megaphonansagen wie bei der Lotter-Demo geschulte Stimmen. Die Crew legt Musik auf und moderiert durch den Maiabend wie durch einen gut geführten Klub. Das Publikum ist sehr jung. Viele unter 18, die meisten unter 20, über 30 ist kaum einer. Man kommt ausgehfertig, ein jeglicher in seiner Art. Die einen haben ihr Haar aufwendig gegelt und die angesagten Markenhosen und Rucksäcke angelegt. Man geht noch zur Schule. Man ist die Mehrheit unter den Tausenden hier. Dann sind da Punks der dritten Generation. Seit Stunden stimmen sie sich auf dem Rasen mit Six-Packs ein. Und dann ist da noch ein fast traditioneller Typ, der militante Berliner Jungproletarier. Man findet ihn etwa im Umfeld des Lautsprecherwagens der "Antifa-Jugend Marzahn" mit dem Transparent "Klassenkampf statt Vaterland". Sportlich, Haare kurz, Baseballkappe tief im Gesicht. Er beherrscht noch die alten Arbeiterkampflieder, die die West-Kids nicht kennen. Überhaupt fehlt dem Aufzug das Intellektualistische der alten Linken.
Der Moderator legt "die Polizisten sollen jetzt gut zuhören" die "Ärzte" auf. Refrain: "Immer mitten in die Fresse." Dann ist "unser Studiogast" dran, "die Vertreterin der Antifaschistischen Aktion Berlin". Sie hat von Adorno mindestens gehört und ihre Rede unter das Motto gestellt "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Viele hören gar nicht zu. Sie wissen auch so, wozu sie heute abend hier sind. Wieder drängt sich die Parallele zur Love Parade auf: Politik als bloßer Vorwand der Extase.
Nun betritt Jutta Ditfurth, die Ex-Grüne, ganz in Schwarz die Tiefladerbühne und erklärt den Berliner Maikindern die Welt: Warum will der "deutsche Imperialismus" das Kosovo erobern? Natürlich als Landbrücke zu den Ölfeldern am Kaspischen Meer. Öl ist Frau Ditfurth wichtig. Öl schmiert die Imperialismustheorie. Die kommt ohne Öl ins Stottern und Frau Ditfurth ohne sie nicht aus. Selbst wenn der Weg zu jenen Ölfeldern über die Karl-May-Route durchs Land der Skipetaren führt. Die Jungen interessieren diese altlinken Verrenkungen nicht. Mancher Schüler ist klüger als die Frankfurter Oberlehrerin. Milosevic, sagt einer, sei zwar nicht Hitler, aber ein Massenmörder sei er doch, und seine Clique feixt: "Milosevic, höhö. Slivowitz ist geil."
Kein Wort von ihr gegen die Gewalt, die in der Luft liegt, nur Ermunterung zum "Kampf auch gegen diesen rot-grünen Staat". Eine Kronzeugin, die es wissen muß. Eine schwarze Madonna, die den Kindersoldaten der Revolution Absolution erteilt, noch vor dem Einsatz.
Die Sonne sinkt, und der Zug setzt sich in Bewegung, vorweg ein festgeschlossener, hinter Transparenten, Kappen und Sonnenbrillen verschanzter Block. Es dämmert, als die Zehntausend in die Zielgerade einbiegen. Die Stimmung schlägt um. Man merkt es an Kleinigkeiten. Dem am Wege zertretenen Fahrrad. Dem Auto, das eins gewischt kriegt. An der in Sekunden sich steigernden Gereiztheit. Dem bulligen jungen Türken, der jäh am Gitter eines Fotogeschäfts rüttelt. Dem Typ mit dem starren Blick, der seine Bierflasche an einem Baucontainer zerschlägt, dabei ein Mädchenbein aufschlitzt, weiterzieht, ohne sich umzusehen. Es kann sich nur noch um Minuten handeln. Und richtig Rauch, Pfiffe, Pflastersteine. Der Tanz in den Mai geht los.
Niemand überblickt in dem Gewoge aus Kampfeslust und Panik, was zehn Meter weiter geschieht. Jemand reißt eine Haustür auf. Der enge Flur ist das Lazarett der Militanten. Einer liegt reglos da, ein Sanitäter fühlt ihm den Puls an der Halsschlagader. "Tot?" "Nein." Ein Kämpfer kommt herein, sinkt an der Wand herab, hält sich den Kopf. Ein dünnes Mädchen zittert und weint. Die Frage, woher die Verletzungen stammen, von Steinen oder Knüppeln, löst Empörung aus. "Von den Bullen natürlich!" Polizei drängt in den Flur, die Empörung steigt. "Krank im Kopf, was. Hier liegen Verletzte." Der das sagt, ein junger Türke, ist vor einer Minute hinausgerannt, mit einem Stein in der Hand.
Tränengas! Die weißliche Wolke treibt das Lazarett die Treppe hinauf, Etage für Etage, und schließlich aufs Dach. Gottlob ist die Luke offen. Von oben bietet sich ein wüstes, grandioses Bild. Unter schwarzen Wolken und Abendrot wogt das Kampfgetümmel auf dem Kottbusser Damm hin und her. Verletzte Polizisten und Demonstranten werden von den Ihren weggeschleppt. Noch immer quillt aus der Dachluke Tränengas. Nach einer halben Stunde ist der Abstieg möglich. Unten ein Bild der Verwüstung. Zerschlagene Schaufenster, Autos. Im Schrittempo fährt ein Türke seinen teuren, zerdepperten Benz durch die Menge. Vorhin waren es junge Türken, die "Nie, nie wieder Deutschland" skandierten. Jetzt ist es die deutsche Jugend, die den Türken höhnisch passieren läßt durch ein johlendes Spalier.
Von Wolfgang Büscher / die Welt 03.Mai 1999