"Abschreckung, weil es am 1. Mai war"

[squat!net]-special zum 1. Mai 1999


Wegen angeblicher Steinwürfe wurden drei Jugendliche gerichtlich untergebracht

Der 1. Mai macht möglich, was in normalen Zeiten undenkbar wäre. Wegen des Vorwurfs, sich an den Krawallen durch Steinwürfe beteiligt zu haben, sind drei Jugendliche im Alter von 15, 16 und 17 Jahren bis zu ihrem Strafprozeß gerichtlich untergebracht worden. Bei mindestens einem von ihnen steht außer Zweifel, daß er längst wieder zu Hause wäre, wenn der Tattag nicht der verteufelte 1. Mai gewesen wäre.

Gerichtliche Unterbringung bedeutet, daß straftatverdächtige Jugendliche statt in U-Haft zu kommen, bis zu ihrem Prozeß in einer speziellen Einrichtung der Jugendhilfe untergebracht werden. Zwar gibt es dort keine Zäune und Gitter, aber die Jugendlichen müssen mit den Betreuern kooperieren und sich an die Regeln halten. Ausgangs-und Urlaubszeiten sind festgelegt, Schulbesuch oder Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme sind Pflicht. Wer abhaut, riskiert, in U-Haft zu wandern.

Der 17jährige Stefan B. (Name geändert) war zu einem Zeitpunkt festgenommen worden, als die revolutionäre 1. Mai Demonstration noch in vollem Gange war. Der Vorwurf: schwerer Landfriedensbruch. Er soll aus einer Menschenmenge zwei Steine in Richtung Polizei geworfen haben. Seine Anwältin, Christina Clemm, verweist darauf, daß ihr Mandant ein Gymnasiast aus Ostberlin sei, der sich noch nie in seinem Leben etwas habe zu schulden kommen lassen. Das einzige Mal, daß Stefan B. zuvor Kontakt zu Polizisten gehabt habe, "war, als ihn einer anhielt, weil er freihändig Fahrrad gefahren ist". Ihn in U-Haftvermeidung unterzubringen, stehe in keinem Verhältnis zu den Vorwürfen. Stefan B. wohne bei seiner Mutter und sei ein guter Schüler. Daß die Unterbringung vom Gericht mit Fluchtgefahr wegen der Höhe der zu erwartenden Strafe begründet worden sei, findet Clemm bei Vorgeschichte und Lebensumständen des Jugendlichen "völlig absurd". Der wahre Grund sei "Abschrekkung, weil 1. Mai war".

Auch die Anwältin des 16jährigen Ulli G., Regina Götz, meint, daß an ihrem Mandanten "wegen des 1. Mai ein Exempel statuiert wird". Ulli G. hat einen festen Wohnsitz bei seinen in den neuen Bundesländern lebenden Eltern. Der Jugendliche soll aus einer steinewerfenden Menge heraus einen Stein in Richtung Polizisten geworfen haben. Bei dem dritten Untergebrachten handelt es sich um einen 15jährigen Trebegänger. Auch er wird des schweren Landfriedensbruchs beschuldigt und soll mehrere Steinen geworfen haben.

Insgesamt waren rund um den 1. Mai 133 Menschen festgenommen worden. Gegen 19 Personen wurde Haftbefehl erlassen. Neben den drei untergebrachten Jugendlichen sitzen nach Angaben von Justizsprecherin Michaela Blume noch sieben Erwachsene in U-Haft.

Plutonia Plarre, taz, 15.5.1999


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