Anything goes?


Wir haben die Nase voll davon, immer wieder auf Argumentationen zu reagieren, die uns grundsätzlich in Abrede stellen, unser Leben in der Brunnenstraße zu organisieren.
Ulrike Steglichs Artikel im letzten Scheinschlag stellt eine solche dar.
Mittels einer Mixtur aus Moral und teilweise gezielter Verkehrung der Realität werden Argumentationsschienen bemüht, die das Ziel haben, unter funktionaler Zuhilfenahme von „sozial Deklassierten" zu beweisen, daß unser Vorgehen verwerflich ist. Im Umkehrschluss werden „Runde Tische" und Reden aus purem Selbstzweck als Lösung empfohlen. Allein dem Umstand, daß in der Brunnenstraße über einen Zeitraum von 2 Jahren über die gleiche Problemstellung „geredet" wurde, ohne letztlich Konsequenzen zu ziehen, ist zu verdanken, daß wir nun vor der unangenehmen Aufgabe stehen, die betreffenden Menschen aus unserem Lebenszusammenhang zu werfen.
Es ist postmodere Beliebigkeit, ein `anything goes´, daß noch jede Schweinerei legitimiert, indem im besten Fall ein anerkannterweise „minderbemitteltes Subjekt" bemüht wird, um von realen Verantwortlichkeiten abzulenken.
Diesem Trend wollen wir uns nicht fügen:


1.

Das „Brunnendorf" 6/7 ist ein Wohnprojekt von Frauen und Männern, die gewillt sind in kollektiven Strukturen zu leben.

1.1

daraus ergibt sich, daß Willensentscheidungen, die den gesamten Wohnzusammenhang betreffen grundsätzlich auf einem „Gesamtplenum" getroffen werden.

1.2

Belange, sofern sie nur einen jeweiligen Aufgang betreffen liegen in der Verantwortung desselben.

2.

In der Brunnenstraße ergibt sich die Notwendigkeit, Umgangsformen und Regelungen zu finden, die das Zusammenleben ermöglichen.

2.1

Diese Regeln sind nicht starr, sondern werden durch stete Auseinandersetzungen hinterfragt und verändert. (zum Prozeß der Auseinandersetzung siehe 1.1 und 1.2.)

3.

Die Bewohner und Bewohnerinnen der Brunnenstraße sind Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses und als solche nicht unabhängig von selbigem. Trotz- oder gerade deswegen, ist dieser Teil unserer Auseinandersetzungen.

3.1

Dies bedeutet, in dem hier geschaffenen Raum Stellung zu beziehen, und Rückzugsmöglichkeit zu schaffen, in dem die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse eben nicht bestimmend sein sollen.

3.2

Unterdrückendes oder ausgrenzendes Verhalten bezüglich (sozialer) Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht werden demnach nicht tolleriert; und daraus folgt eine permanente Auseinandersetzung diesbezüglich. (siehe 2.1)

4.

Leben in Gruppen (zumal in einer Größenordnung von ca 80 Menschen) führt zwangsläufig zu Interessenskonflikten.

4.1

Es kommt darauf an, diese möglichst einvernehmlich zu lösen.(siehe 2.1)

4.2

Wo dies nicht möglich erscheint, stehen Interessenskonflikte nicht automatisch gleichberechtigt nebeneinander, sondern werden selbstverständlich bewertet. Die Bewertung erfolgt aufgrund eines Wertemodells (siehe 3.2).

4.3

Letztendlich verlangt die Fähigkeit zur Konfliktbewältigung auch die Fähigkeit zu Einsicht. Einsicht darin, über Grenzen anderer nicht hinwegzugehen. Die Beurteilung und Verortung dieser Grenzen resultiert aus einen demokratischen Prozeß, in dem letztendlich der Begriff von Mehrheiten ein orientierunggebender ist.

5.

Jene, die das oben genannte nicht teilen, sind im Brunnendorf grundsätzlich fehl am Platze. Ihnen bleibt selbstredent die Möglichkeit Auszuziehen oder zu putschen, womit sie sich klar positionieren.

5.1

Da ein Putsch gegen das oben genannte nicht als ein emanzipativer Vorgang begriffen werden kann, entsteht gezwungenermaßen die Notwendigkeit diesem ebenfalls mit Mitteln der Macht zu begegnen. In diesem Sinne: Gegenmacht!


Das vorangestellte macht deutlich, daß wir den Konflikt der Brunnenstraße nicht in erster Linie als sozialen, sondern als politischen begreifen.
Die Form unseres Zusammenlebens ist der Versuch unseren Vorstellungen einer gleichberechtigten Gesellschaft, ohne Ausbeutung und Unterdrückung näher zu kommen. Wo ein Umgang entsprechend dem oben angeführten Grundkonsens nicht (mehr) möglich ist, was aktuell im Brunnendorf der Fall ist, reagieren wir darauf, diesen basalen Konsens wieder herzustellen. Hier funktioniert dies nur durch den Rauswurf derjenigen, die sich eindeutig durch ihr Verhalten gegen das Obengesagte stellen. Wer/welche zukünftig „im ersten Seitenflügel, im engen Durchgang des kleinen vorderen Hofes" (Zit. C.Schaffelder) wohnen wird, wird Sache des Gesamtplenums sein. Und sonst niemandes.

BewohnerInnen der Brunnenstraße 7 (VEB7),
Januar ´98

questions? [an die Brunnen-Crew! latuerlich wuerden wir auch gern wissen was ihr zu zu sagen habt - end ggf. auch hier veroeffentlichen...squat!net]

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