Das ist unser Haus?


Frühere Hausbesetzer wollen in der Brunnenstraße 6/7 Punks räumen "High Noon", hieß es in dem Flugblatt: "Genug ist genug." Seit zwei Jahren gehe der Ärger mit den Punks im Haus ­ nun bliebe nichts weiter übrig als deren Rausschmiß. Daß ein Hausbewohner einen anderen "rausschmeißt", ist an sich schon ungewöhnlich. Aber in einem alternativen Projekt soll es ja sowieso mehr Möglichkeiten geben als anderswo, seine ganz persönlichen Lebensvorstellungen zu verwirklichen.

In der Brunnenstraße 6/7 in Mitte, einem 1990 besetzten Gebäudekomplex, leben in mehreren Querhäusern und Seitenflügeln unterschiedliche Gruppen und Wohngemeinschaften, im Hinterhaus hat das Obdachlosentheater "Unter Druck" Räume. Daß das Projekt über Einzelmietverträge legalisiert wurde und bis heute existiert, ist auch der Toleranz der Umgebung und dem Engagement unterschiedlicher Leute im Bezirk zu verdanken: vom damaligen Kulturstadtrat bis zur Mitarbeiterin der Wohnungsbaugesellschaft. Vor zwei Jahren zogen die ersten Punks in den vorderen Seitenflügel, das sogenannte B-Haus. Andere kamen erst in diesem Sommer dazu, u.a. auch obdachlose Punks, die mit ihren Hunden im Winter 1995/96 in der Veteranenstraße Unterschlupf gefunden hatten.

Die früheren Besetzer werfen in dem Flugblatt den Punks Pöbeleien vor, nächtlichen Musikterror, verbale Drohungen, gegen Fensterscheiben geschossene Feuerwerkskörper, Müll, Hofpisserei, Hundescheiße. Im Sommer sei der Hof von ca. 40 Besuchern ­ u.a. italienischen Punks ­ förmlich belagert worden ­ unbestritten war der Sommer wohl die größte Belastung für die Anwohner. Eine Nachbarschaft sei nicht mehr möglich.

Ein den B-Häuslern gestelltes Ultimatum, zum 13. November das Haus zu verlassen, verstrich ­ so beschloß das Hausplenum, nun selbst die Punks schlicht und ergreifend auf die Straße zu setzen. Und zwar alle. Obwohl sie zugaben, daß eigentlich nur zwei die "Problemfälle" sind. Obwohl ihnen klar ist, daß es Winter und kalt ist, daß die Räumungskandidaten kaum Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben, daß Innensenator Schönbohms Beifall ihnen gewiß wäre.

Während die Besetzer mit dem Flugblatt bei Anwohnern und Presse auf öffentliche moralische Legitimation ihres Vorhabens hofften, wandten sich die Punks an einen ehemaligen Brunnenstraßen-Bewohner mit der Bitte, einen Runden Tisch zu organisieren. Der erste fand Ende November statt: vorerst zur Klärung der Situation und zur Gesprächsvermittlung. Konflikte sollten nicht in Abrede gestellt, sondern von beiden Seiten dargestellt werden können. Nicht nur die Besetzer fühlten sich angemacht und bedroht, sondern auch die Punks ­ nun auch durch die Räumungsdrohung.

Die Vermittler schlugen vor, die Punks wenigstens noch bis Frühjahr im Haus zu lassen, dann wollen die meisten von ihnen sowieso ausziehen. Bis dahin sollte ein wöchentlicher Runder Tisch die Reizschwellen gering halten. Eine Räumung aber würde das Schlimmste nach sich ziehen: durchdrehende Menschen und Hunde, Gewalteskalation, Polizei, die Gefährdung des gesamten Hauses. Abgesehen davon, daß für viele frühere Sympathisanten das Projekt mit so einer Aktion in seinem ganzen Anspruch gescheitert wäre.

Sah es nach dem ersten Runden Tisch noch ganz hoffnungsvoll aus ­ zumindest gab es einen weiteren Termin ­, so endete der zweite ergebnislos. Der Zug ist abgefahren, es ist zu spät, hieß es seitens der Besetzer. Außerdem sei da auch eine neue Gruppe, die in die Räume soll und "besser zu uns paßt". Und überhaupt gebe es Leute, denen es noch schlechter gehe als den Punks ­ Migranten zum Beispiel. Nur sind die Punks ja nun einmal da. Sie könnten ja ein anderes Haus besetzen, schlug jemand vor. Das muß, im Jahr der Räumungen, wohl nicht weiter kommentiert werden. Das ist unser Haus ­ war der Ton Steine Scherben-Song nicht irgendwie anders gemeint?

Unterdessen zeigt ein Papier einer Frauen-WG im Haus, daß der "Räumungsbeschluß" des Plenums keineswegs von allen mitgetragen wird. Im Haus, so geht aus dem Papier hervor, scheint es dabei weniger um die Punks als vielmehr um Machtstrukturen zu gehen, in denen "stärkere" Gruppen eine Vormachtstellung gegenüber "Randgruppen" haben ­ wie in der wirklichen Gesellschaft eben. Eine Fortsetzung dieser Machtstrukturen sehen die Frauen darin, daß ihre Einwände gegen die geplante Räumung übergangen wurden mit dem Argument, "für die Räumung sei kein Komplexkonsens nötig". Dabei seien noch gar nicht alle Möglichkeiten einer friedlichen Lösung ausgeschöpft gewesen. Aber "alle unsere Fragen wurden auf den Plena unwirsch als 'Bremserei' abgetan." Die Frauen verlassen nun die Brunnenstraße, zum einen wegen eben jener Strukturen, mieser Stimmung im Komplex und krasser Meinungsverschiedenheiten, zum anderen wegen der unvorhersehbaren

Folgen des Rausschmisses.

Indes scheinen die Räumungsentschlossenen ihr Vorgehen zu modifizieren. Jetzt soll nur ein Teil der zehn sofort ausziehen. Unklar ist aber immer noch, wer die "Exekutive" dieser zweifellos unangenehmen Aufgabe übernimmt.

Sollte es tatsächlich zur Räumung, zur Eskalation kommen, wäre nur eine der denkbaren Folgen tatsächlich noch lustig: Da nicht nur die Besetzer Mietverträge haben, so ein Senatsmitarbeiter, bestehe bei einer Räumung die Möglichkeit, sich mit diesem verbrieften Recht sowie Amtshilfe wieder Zugang zur eigenen Wohnung zu verschaffen. Was für ein Szenario, wenn Polizei Punks zu jenen Wohnungen eskortiert, aus denen Besetzer sie gerade geräumt haben.

Ulrike Steglich


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