Hausbesitzer mit schlechtem Gedächtnis


Der Besitzer der Liebigstraße 16 in Friedrichshain will die langjährigen Bewohner des ehemals besetzten Hauses räumen lassen. Von gemachten Zusagen will er nichts mehr wissen

Von Tobias Singelnstein

Die Liebigstraße 16 in Friedrichshain ist ein typisches besetztes Haus aus der Nachwendezeit: Seit 1990 besetzt, von der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) geduldet, an die Alteigentümer zurückgegeben, wurde das Objekt 1996 an den Westberliner Andreas Steinig verkauft. Dieser sicherte den Bewohnern eine gemeinsame Lösung zu. Doch mit der Sicherheit, in der sich die Bewohner wähnten, ist es jetzt offensichtlich vorbei. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen wurde bekannt, daß der Hausbesitzer bei der Polizei bereits Ende Juni einen Räumungantrag gestellt hat.

Noch zu Zeiten der Verwaltung durch die WBF erhielten die Besetzer Mietverträge für das Vorderhaus und schlossen Nutzungsvereinbarungen für Seitenflügel und Hinterhaus. Beide sind nach Angaben der Bewohner bis heute nicht gekündigt. Später ging das Haus in den Besitz einer Erbengemeinschaft über, die ihre Alteigentümeransprüche durchgesetzt hatte. Diese wiederum verkaufte das mitten im Besetzerkiez liegende Objekt im August vergangenen Jahres an den jetzigen Besitzer Andreas Steinig - seines Zeichens Chef einer Gerüstbaufirma.

Am Status der Bewohner schien der neue Besitzer nichts ändern zu wollen. Andreas Fichtner, Hausbewohner und parteiloser Abgeordneter in der BVV Friedrichshain, erzählt: "Er lud uns zu einem netten Gespräch in eine Kneipe in Dahlem auf seine Kosten ein, an dem auch ein Architekt, seine Projektleiterin und die von Steinig beauftragte Hausverwalterin teilnahmen. Dort hat er uns zugesagt, daß wir in dem Haus wohnen bleiben dürfen, aber Betriebskosten zahlen sollen." Diesen Herbst hätte dann eine Instandsetzung und Modernisierung des Hauses in Absprache mit den Bewohnern beginnen sollen. Bis dahin sollten diese eine noch auszuhandelnde "Friedensmiete" zahlen und danach ortsübliche Mietverträge erhalten, wie die Bewohner des Hauses berichten. Ein Protokoll dieses Treffens mit den unter Zeugen gemachten Zusagen wollte Steinig den Hausbewohnern im Dezember schriftlich zukommen lassen. Doch diese erzählen, daß sie das Protokoll nie zu Gesicht bekommen hätten. Lediglich die Hausverwalterin Marion Hempel schrieb im Dezember an die "Hausgemeinschaft". Unter der Überschrift "Mieterversammlung" bat sie um die Überweisung der Betriebskosten und kündigte eine Begehung durch den Architekten an, um festzustellen, "welche Sanierungsarbeiten mit Hilfe des Landes Berlin ausgeführt werden können". Der Brief endete mit Weihnachts- und Neujahrswünschen der Hausverwalterin und des Besitzers.

Ende gut, alles gut? Weit gefehlt: Im Juni begann Steinig, die regelmäßig gezahlten Betriebskosten von 1.500 Mark monatlich an die Bewohner rückzuüberweisen. In einem Schreiben an die auf einmal "unbekannten Besetzer" im Juli erklärte er, die Bewohner würden sich "in verbotener Eigenmacht, ohne meine Zustimmung und entgegen meinem bereits geäußerten Willen" in dem Haus aufhalten. Allen Kontaktversuchen der Bewohner zum Trotz meidet Steinig jegliche Aussprache. Mittlerweile, so die Bewohner, stehe das Haus auf dem Markt für 1,6 Millionen Mark zum Verkauf - unbewohnt, wie der Makler auf Anfrage gesagt haben soll.

Hinter Steinigs plötzlichem Sinneswandel vermutet Andreas Fichtner "kalte Füße" und wirtschaftliche Gründe. Finanzzuschüsse des Landes für die Sanierung des Hauses, mit denen Steinig gerechnet habe, hätte es plötzlich nicht mehr gegeben, und deshalb habe er das Objekt möglichst gewinnbringend abstoßen wollen. Aber auch eine Einflußnahme durch die Innenverwaltung will Fichtner nicht ausschließen. "Gerade nachdem, was in der letzten Woche passiert ist", sagt er und spielt damit auf die Räumungen von drei besetzten Häusern an, die zumindest teilweise rechtlich nicht einwandfrei waren.

"Wenn es nach Recht und Gesetz geht, hat Steinig keine Chance", meint Fichtner. Aber auch er befürchtet: "Wenn es nach Politik und Taktik geht, kann es passieren, daß die Innenverwaltung nach der Räumung mal wieder sagt, sie hat von nichts gewußt."

TAZ-BERLIN vom 14.08.1997


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