Zeitungsartikel zum 29. 07. 1997: |
taz vom 30.Juli 1997 |
Die Polizei schuf gestern Tatsachen, das Amtsgericht Schöneberg hob sie am Abend schon wieder teilweise auf. Nach der Räumung dreier langjährig besetzter Hauser in Friedrichshain und Lichtenberg entschied das Gericht am Abend per einstweilige Verfügung, daß zwei Besetzer in das geräumte Haus in der Rigaer Stralle 80 zurückkehren dürfen. Die Eigentümer müssen demolierte Wohnungstüren sowie Fenster und Eingangstüren wieder instand setzen. Außerdem muß der Zugang zu sämtlichen geräumten Teilen des Hauses gewährt werden.
Rund 500 Polizisten waren am Morgen im Einsatz, als die seit sieben Jahren besetzten Hauser Rigaer Str. 80 und Scharnweberstraße 28 in Friedrichshain sowie Pfarrstraße 88 in Lichtenberg geräumt wurden. Zudem wurden mehrere von Obdachlosen besetzte Wohnungen im Hinterhaus der Schreinerstraße 14 geräumt. Dabei brach die Polizei auch die Wohnung einer legalen Mieterin auf. Nach Polizeiangaben wurden insgesamt 57 Personen in den Hausern angetroffen. Fünf Besetzer seien festgenommen worden.
Bei allen drei Räumungen seien das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) zum ,,Schutz privater Rechte" angewandt worden, erklärte Thomas Raabe, Sprecher von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU). Vom Zivilrecht geforderte Klagen der Hauseigentümer gegen jeden einzelnen Besetzer seien ergebnislos geblieben, da in den Häusern ständig neue Personen einziehen wurden, begründete Raabe.
Nach Polizeiangaben gab es aber nur für die Scharnweberstraße 28 und die Pfarrstraße 88 überhaupt richterliche Räumungstitel, deren Vollstreckung an der Bewohnerstruktur scheitern konnte. Die Räumung der Rigaer Straße 80 hingegen beruhe ausschließlich auf einem Beschluß der Innenverwaltung. Im Streit um die Rigaer 80 hatte das Amtsgericht Schöneberg im Mai den Besetzern ,,Besitzrechte" zugesprochen. Der Richter hatte den Hauseigentümer Sven Rosemann dazu verurteilt, die Wasserversorgung des Hauses wiederherzustellen, die Anfang Mai unter Polizeischutz gekappt worden war.
Zusätzlich führte der Richter aus: ,,Soweit die Eigentümer die Grundstücksnutzung durch die Besetzer unterbinden wollen, müssen sie den Rechtsweg beschreiten und gegebenenfalls klagen." Raabe wollte den Richterspruch nicht kommentieren. Zudem sei das Verfahren an die nachsthöhere Instanz weitergegeben worden. Auch aus dem für Friedrichshain zuständigen Polizeiabschnitt kam interne Kritik an der Entscheidung der Innenverwaltung. Man habe von der Räumung abgeraten. Hauseigentümer Sven Rosemann war wegen eines Überfalls im Mai 1994 auf die Rigaer Straße 80 wegen Beihilfe zur Nötigung verurteilt worden. Bei der versuchten Privaträumung waren Bewohner teils schwer verletzt worden.
Die BewohnerInnen der Friedrichshainer Hauser hatten sich seit Jahren um vertragliche Losungen bemüht. In der Scharnweberstraße hatten die BewohnerInnen in monatelanger Arbeit Auflagen der Bauaufsicht erfüllt, um so eine baurechtliche Räumung zu verhindern. Der Sanierungsträger List hatte Lösungsmodelle erarbeitet. Im Mai aber hatte die Senatsbauverwaltung dem Sanierungsträger das Verhandlungsmandat entzogen. Begründung: fehlendes Interesse der Eigentümer.
Nur in der Pfarrstraße 88 waren die Eigentümer verhandlungsbereit. Ihnen gehört auch das ebenfalls besetzte Haus Pfarrstraße 104. Dortige Bewohner erklärten, sie stünden kurz vor Vertragsabschluß. Die Verhandlungen um die Nummer 88 seien am Desinteresse der Besetzer gescheitert.
ga/ee, Photo:Christian Schulz/Paparazzi
taz vom 30.Juli 1997 |
Vor gut einem Jahr wurden die zwei besetzten Häuser an der Marchstraße geräumt. Innensenator Schönbohm hatte seine Truppen in Gang gesetzt, damit Bauarbeiter propere Wohnungen herrichten könnten. Er hat es bereits damals besser gewußt. Denn seit Jahren war bekannt, daß der Investor abreißen will. Ergebnis: Die Häuser stehen immer noch leer und verrotten. Aber was fast fünfzehn Jahre Bestandteil der "Berliner Linie" war, nämlich bevorstehende Bauarbeiten, interessierte Schönbohm nicht. Seit seinem Amtsantritt demonstriert er in Sachen Besetzer Machtpolitik pur. Die Rechtslage interessiert den ehemaligen Militär Schönbohm bei seinem Feldzug nur, solange sie Deckung bietet. Die Verhältnisse sind dabei auf seiner Seite.
Die "Berliner Linie" steht nur noch auf dem Papier, mag dieses auch Koalitionsvereinbarung heißen. Neu ist an den gestrigen Räumungen deshalb nur eines: Schönbohm hat die rechtliche Deckung verlassen. Nun wartet er nicht einmal ab, bis der zivilrechtliche Weg der Verhandlungen zwischen Besetzern und Besitzern ausgeschöpft ist. Räumungsgründe schafft man notfalls selber. Die taz hat beispielsweise vor Wochen aufgedeckt, daß die Innenverwaltung via Bausenator Druck auf den öffentlich bestellten Sanierungsträger ausübte, die Verhandlungen mit der Rigaer Straße 80 für gescheitert zu erklären. Für einen Senator, der den Schutz der Verfassung zu seinen Aufgaben zählt, eine erschreckende Amtsauffassung.
Gerd Nowakowski
taz vom 31.Juli 1997 |
Die am Dienstag aus der Rigaer Straße 80 geräumten Besetzer bleiben vorerst obdachlos. Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Schöneberg, nach der zwei Besetzer in das Haus wieder einziehen dürfen, müsse zunächst dem Hauseigentümer zugestellt werden, erklärte Justizsprecherin Ilona Wiese. Da dies über den Postweg laufen müsse, sei mit einer Vollstreckung durch die Genchtsvollzieherin nicht vor Freitag zu rechnen. Wiese wertete die Verfügung als überraschend weitreichend. Die dem Hauseigentümer im Falle der Nichterfüllung drohende Ordnungsstrafe von bis zu 500.000 Mark liege an der Höchstgrenze.
Unterdessen äußern sich Innenverwaltung und Polizei sehr vorsichtig. Thomas Raabe, Sprecher des Innensenators, wollte sich gar nicht zum Gerichtsentscheid äußeren. Auch Polizeisprecherin Gedaschke wollte zunächst die weitere Entwicklung abwarten. Polizeijuristen hätten die Rechtslage vor den Räumungen aber "eingängig geprüft". Gedaschke konnte aber nicht sagen, ob der Polizei eine Gerichtsentscheidung vom Mai bekannt gewesen sei. Schon diese hatte den Bewohnern der Rigaer Straße 80 Besitzrechte zuerkannt. Falls der Hauseigentümer eine Räumung wünsche, müsse er die Besetzer verklagen. Doch auch ohne Klage wurde die Räumung im Einvernehmen mit der Innenverwaltung nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) durchgeführt.
Der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Wolfgang Wieland, bezeichnete die Räumung als "absolut rechtswidrig". Das ASOG rechtfertige allenfalls die Beseitigung einer vorübergehenden Störung. Durch Polizeimaßnahmen dürfe aber keinesfalls das Zivilrecht außer Kraft gesetzt werden. Die Räumungspolitik Schönbohms sei nur auf Erfolgsmeldungen ausgerichtet, meinte Wieland. Was danach geschehe, interessiere nicht. So sei an den 1996 geräumten Häusern Marchstraße und Einsteinufer absolut keine Bautätigkeit zu entdecken. Auch in Mitte und Friedrichshain stehen mindestens fünf weitere ehemals besetzte Häuser noch Monate nach der Räumung leer. Eins von ihnen, die Kreutziger Straße 21, wurde in der Nacht zu Mittwoch kurzzeitig wieder besetzt. Die Polizei räumte mit Wasserwerfern. Acht Personen wurden festgenommen.
Ga
taz vom 31.Juli 1997 |
Im Anschluß an eine Demonstration sind in Friedrichshain 20 Personen festgenommen worden. Wie die Polizei gestern mitteilte, kam es nach der Demonstration wegen der Räumung von drei besetzten Häusern am späten Dienstagabend zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen Polizeibeamte mit Steinen und Brandsätzen beworfen und ein Wasserwerfer eingesetzt werden mußte. Fünf der unter anderem wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs festgenommenen Demonstranten seien bereits mit Haftbefehl gesucht worden. Drei Beamte wurden nach Angaben der Polizei durch Stein- und Flaschenwürfe verletzt.
dpa