Dewes' Polizei schafft Chaos Tage in Saalfeld


Von Sonntag (12.10.97)

Bilanz des 11. Oktober 1997 in Thüringen Im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung hatten der Saalfelder Bürgermeister Beetz (CDU) und der thüringische Innenminister Dewes (SPD) Saalfelder Chaostage durch die Anmeldung der Demonstration gegen rechte Gewalt herbeigeredet. Chaos-Tage sind ausgeblieben! Nicht, weil ein massives Polizeiaufgebot für Sicherheit und Ordnung gesorgt hätte, sondern weil die übergrosse Mehrheit der angereisten DemonstrantInnen ihre friedliche Absicht durch ihr Verhalten unter Beweis gestellt hat. Der Fund schwerer Waffen bei den Neonazis beweist, wie notwendig die friedliche Demonstration in Saalfeld gewesen wäre. Die Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus/Antirassismus kritisierte die Aussage des Thüringischen Innenministers Dewes scharf, der noch nach Aushebung des rechten Waffenlagers im gleichen Atemzug von ,linken und rechten Chaoten" sprach, die Thüringen gefährden würden. Die Arbeitsgemeinschaft wirft den politisch Verantwortlichen im Landkreis Saalfeld/Rudolstadt und in der Landesregierung vor, mit dieser und ähnlichen Aussagen ein Klima der Angst und Kriminalisierung geschaffen zu haben, das die Argumente für das Demonstrationsverbot selbst geliefert hat. Mehr als 1000 DemonstrantInnen, die angereist waren, weil sie nichts über das am Tag vorher erlassene Verbot erfahren hatten, übten bei ihren spontanen Aktionen in Jena, Erfurt, Leipzig und auf der A9 keine Gewalt aus., Trotzdem wurden mehr als 500 junge AntifaschistInnens im Sondergefängnis Unterwellenborn in Gewahrsam gebracht.

In den frühen Morgenstunden hatte bereits eine Sondereinheit der Polizei (USK) das alternative Jugendwohnprojekt in Saalfeld gestürmt. Legitimiert wurde die Stürmung mit vermutetem Drogen- und Sprengstoffbesitz. Die Sondereinheit versuchte zunächst, über das Dach einzudringen. Nach dem

Versuch, die Tür des Hauses zu sprengen, wurde diese aufgeschnitten. Die eingedrungenen Polizisten durchsuchten das ganze Haus und zwangen die BewohnerInnen und BesucherInnen, sich auf den Boden zu legen. Einem Hausbewohner wurde eine Pistole an den Kopf gehalten, anderen das Gesicht verdeckt, damit sie nicht in den Raum blicken konnten. 14 junge Erwachsene wurden in Gewahrsam gebracht und erst am Sonntag Nacht freigelassen. Eine Person ist immer noch in Haft. Gefunden wurde nichts, das die Stürmung des Hauses legitimiert.

Auf dem Bahnhof von Saalfeld wurden gegen 14 Uhr über 50 vornehmlich junge Leute aus den Zügen heraus festgenommen und ebenfalls in Unterbringungsgewahrsam gebracht. Augenzeugen berichten, dass sogar Hausschlüssel der Jugendlichen kofisziert wurden. Bei keinem der festgenommenen Jugendlichen seien hingegen gefährliche Gegenstände gefunden worden. Unter den Festgenommenen waren auch Unbeteiligte.Einziges Selektionskriterium war ein ,linkes" Aussehen, so dass für unauffällig gekleidete Rechtsextreme der Zugang vom Bahnhof zur Stadt problemlos möglich war. Nach Verhandlungen mit Bundesgrenzschutz und Polizei konnten GewerkschafterInnen und Landtagsabgeordneten die ankommenden Personen informieren, dass die Demonstration nicht stattfinden kann und sie zum Zug begleiten, um die Heimreise anzutreten.

Am Bahnhof Gera wurden ebenfalls ca. 60 Jugendliche, die zur Demonstration anreisen wollten, mit der vorgeschobenen Begründung, sie hätten im Zug randaliert, festgenommen.

In der Gefangenensammelstelle Unterwellenborn bei Saalfeld herrschen nach wie vor katastrophale Zustände. So wurden Minderjährige und völlig Unbeteiligte bereits seit Freitag früh festgehalten. Es fehlen Matratzen, Decken und Nahrungsmittel. Die Heizung des vor Jahren ausser Betrieb genommenen Gefängnisses funktioniert nicht und eine Absicherung für den Fall eines Brandes existiert ebenfalls nicht. Teilweise wurden Freigelassene in dem verkehrstechnisch ablegen Unterwellenborn ausgesetzt, was angesichts der agierenden Neonazis Körperverletzung im Amt darstellt.

Im Laufe des Tages fanden gegen das Verbot, die Vorgehensweise der Polizei und die unmenschliche Behandlung der Inhaftierten mehrere Spontandemonstrationen statt. So demonstrierten in Erfurt ca. 400 und in Jena ca. 100 Menschen friedlich. In Leipzig versammelten sich mehr als 500 Menschen. Der friedliche Verlauf dieser Aktionen untermaürt die Absurdität der Vorwürfe gegen die Demonstration gegen Rechte Gewalt.

Auf der BAB A9 bei Osterfeld setzte die Polizei 8 Busse fest. Daraufhin blockierten ca. 400 Leute die Autobahn. Statt die DemonstratInnen wie durch die Polizei zugesagt nach Leipzig oder Jena weiterreisen zu lassen, wurden sie eingekesselt und, begleitet von massivem Polizeiaufgebot, in das Sondergefängnis Unterwellenborn verbracht.

Am Samstag Nacht bzw. am Sonntag werden alle Gefangenen bis auf einen Anmelder der verbotenen Demonstration und der in Osterfeld Verhafteten freigelassen.

Zur Zeit werden mehr als 300 Personenekennungsdienstlich behandelt und den Schnellrichtern vorgeführt. Die Polizeibehörden wollen mit dieser Massnahme

erreichen, dass sie erst am Montag freigelassen werden. Es wird versucht, mit allen juristischen Mitteln gegen diese staatliche Willkürmassnahme vorzugehen. Wahrscheinlich werden am Nachmittag spontane Demonstrationen stattfinden.

Die Ereignisse des 11. und 12. Oktober beweisen, dass die Gewalt von den Neonazis und an vielen Stellen von der Polizei ausgeht.

Juristisches und politisches Nachspiel Die Veranstalter der Demonstration verurteilen die eklatante Einschränkung des Demonstrationsrechtes und die Verletzung von Persönlichkeitsrechten und kündigen weitere juristische und politische Schritte an. Sie werden die Verbotsverfügung im Hauptverfahren gerichtlich überprüfen lassen; juristische Schritte gegen die Polizeidirektion Saalfeld einleiten, die am Bahnhof Saalfeld ein ,Betretungsverbot" verteilen liess, das die genaü Anschrift des Anmelders der Demonstration enthielt, der nachweislich seit Jahren Drohungen und Anschlägen durch Rechtsextreme ausgesetzt ist. umgehend in die Vorbereitungen einer Demonstration gegen rechte Gewalt, den rechten Konsens und die Kriminalisierung von AntifaschistInnen eintreten. Alle Menschen in Thüringen, aber auch über die Landesgrenzen hinaus, werden zur Diskussion eingeladen, damit in den nächsten Wochen in Saalfeld eine machtvolle und friedliche Demonstration durchgeführt werden kann.


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