Never trust the Amtsgericht


Berliner Gerichtshilfe gegen Hausbesetzer Einstweilige Verfügung für Rigaer Straße 80 aufgehoben

»Ihr habt uns mehr genommen als nur ein Haus aus Steinen, Holz und Ton.« Mit dieser Anklage reagierten die Bewohner des Ende Juli polizeilich geräumten Hauses in der Rigaer Straße 80 in Berlin-Friedrichshain auf ihre gerichtliche Niederlage. Am Dienstag hatte das Amtsgericht Schöneberg eine Einstweilige Verfügung vom 29. Juli aufgehoben. Darin war zwei Bewohnern des besetzten Hauses bestätigt worden, daß sie am gleichen Tag widerrechtlich von der Polizei geräumt worden waren. Besitzer Sven Rosemann sollte dafür sorgen, daß Nicolas Schnur und Thomas Weinhold wieder in ihre Wohnungen zurückkehren können. Beide hätten nach dem BGB Besitzrechte erworben, da sie inBerlin-Mitte »gerichtsbekannterweise seit mehreren Jahren« in der Rigaer Straße 80 lebten, stellte das Gericht fest.

Doch der Hausbesitzer hätte zum angesetzten Öffnungstermin am 30. Juli erscheinen müssen, was er nicht tat. Die Hausbesetzer blieben vor dem verrammelten Gebäude ausgesperrt. Sie müssen nun ganz draußenbleiben. Richter Schmelz hob die Verfügung auf, weil aus seiner Sicht die Räumung durch die Polizei keine widerrechtliche Aktion des Hausbesitzers war. Es sei nicht seine Aufgabe gewesen zu prüfen, ob die Polizei selbst rechtens gehandelt habe, erklärte er. Am Ende sei entscheidend, daß der Hausbesitzer nicht wußte, wer in der Rigaer Straße 80 wohnt. Deshalb habe er berechtigt die Polizei um Hilfe gebeten. Rosemann dürfte sich zurücklehnen, nachdem er seit Jahren auch mit illegalen Methoden versucht, die Hausbewohner zu vertreiben.

In einer Erklärung verweisen Schnur und Weinhold auf die unterschiedliche Behandlung dessen, was Besitzer und Besetzer jeweils vor Gericht vorbrachten. Damit sei »die gleiche Behandlung aller Menschen vor der Justiz verneint« worden. Der Versuch, die geräumten Häuser auf dem Gerichtsweg zurückzubekommen, war nur einmal, 1995 in der Linienstraße 158/159 in Berlin-Mitte, erfolgreich. Sonst wurden die Klagen der Bewohner immer abgelehnt. Ein Modell wurde dabei angewandt: Die Polizei räumte die Häuser unter dem Vorwand, die öffentliche Sicherheit sei gefährdet. Das leere Haus wird den Eigentümern übergeben. Die Bewohner müßten die Besitzer beklagen, denen aber die Räumung nicht angelastet werden kann.

Eine Klage der ebenfalls am 29. Juli in der Pfarrstraße 88 geräumten Bewohner vor dem Amtgsericht Lichtenberg wurde am Dienstag auf nächste Woche vertagt. Das Gericht müsse erst prüfen, ob die beklagten Hauseigentümer die richtigen Adressaten seien. Möglicherweise habe die Polizei unerlaubt geräumt. Aber auch hier stehen die Chancen für die Hausbewohner nicht gut.

Tilo Gräser

junge Welt Inland 14.08.1997


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