Polizei übt Bürgerkrieg


Verbot gegen Antifa-Demo in Saalfeld durchgesetzt.

Die Region Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen befand sich am Sonnabend im Belagerungszustand. Seit Tagen kreisten Polizeihubschrauber über Saalfeld, mehrere Schulen wurden für die Polizei geräumt und Chaos-Hysterie in Saalfeld verbreitet. Am Sonnabend sperrten etwa 7 000 Polizisten und Bundesgrenzschutzbeamte aus Thüringen, Hessen, Bayern und Niedersachsen Saalfeld weiträumig ab. Alle Ausfallstraßen und die Autobahnauffahrten wurden kontrolliert. Am Saalfelder Bahnhof mußten sich Passanten durch ein Polizeispalier drängen. Bahnsteig, Unterführung, Bahnhofshalle und -vorplatz waren von Polizeihundertschaften verstopft.

Mit dem massiven, fast bürgerkriegsgerechten Polizeiaufgebot setzte der thüringische Innenminister Richard Dewes (SPD) das Verbot der geplanten bundesweiten "Demonstration gegen rechte Gewalt" in Saalfeld durch. Die Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus/ Antirassismus Thüringen hatte sie angemeldet. Die Demonstration richtete sich gegen die Versuche der Neonazis, in der thüringischen Stadt ein "Nationales Jugendzentrum" aufzubauen. Im Stadtteilzentrum des Saalfelder Neubauviertels Gornsdorf gehen sie längst ein und aus.

Stadtväter, Landratsamt und Innenministerium waren sich einig, daß die Protestdemonstration des Bündnisses aus Gewerkschaften, Parteien und Antifa-Gruppen nicht stattfinden darf. Sie war wie ein rechte Gegendemonstration in Rudolstadt kurzfristig verboten worden. Von beiden gehe eine Gefahr für Sicherheit und Ordnung aus, lautete die offizielle Begründung. Als das Geraer Verwaltungsgericht am Freitag die Klage der LAG Antifaschismus gegen das Demonstrationsverbot abgewiesen hatte, ordnete Innenminister Dewes den Polizeieinsatz an.

Obwohl sich die Demoveranstalter vor Ort mit einer Flugblattaktion für die Weiterreise der Demonstranten einsetzten und es zu keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, nahm die Polizei am Saalfelder Bahnhof 55 Jugendliche fest. Erstes Angriffsziel der Polizei war in der Nacht zum Sonnabend ein Wohnprojekt linker Jugendlicher in Saalfeld. Ohne zu klingeln stürmten rund hundert Polizisten das Haus, hielten den schlafenden Bewohnern eine Pistole vor die Nase, beschlagnahmten einen Gewerkschaftsbus und sperrten 17 Personen, darunter drei Journalisten, ins "Sicherheitsgewahrsam" in einem Knast aus DDR-Zeiten, den sie für die Polizeiaktion kurzfristig wieder in Betrieb genommen hatten. Ausbeute der Aktion: ein paar Handys, Reizgas und ein Messer.

Welche Gefahr von wem ausgeht, zeigte sich in Heilsberg bei Rudolstadt, wo die Polizei in einen Treffpunkt der rechten Szene 60 Schlagstöcke, 300 Feuerwerkskörper, 60 Stichwaffen, zehn Wehrmachtshelme und mehrere Schreckschußpistolen beschlagnahmte. 56 Personen wurden dort vorläufig festgenommen. Zur laut Polizei angriffsfähigen Ausstattung der Nazis zählte Funkausrüstung und andere Technik.

Die Polizeiaktionen erstreckten sich auf ganz Thüringen und Sachsen-Anhalt. Laut Agenturmeldungen wurden dabei insgesamt 488 Menschen vorläufig festgenommen - wie üblich mehr Linke als Rechte. In Halle hatte die dortige Polizeidirektion eine kurzfristig angemeldete linke Demonstration für den gesamten Süden des Bundeslandes verboten. Bereits in der Nacht war es zu Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten gekommen, als rund 30 Antifa-Aktivisten ein Nazitreffen stürmten. Am Geraer Bahnhof nahm die Polizei am Sonnabend 67 linke Jugendliche fest, die mit dem Zug abreisen wollten.

Demonstrationsfrei blieb Thüringen dennoch nicht. Am Nachmittag blockierten etwa 300 Menschen die Autobahn A 9 bei Eisenberg für fast vier Stunden, nachdem abzusehen war, daß sie keine Möglichkeit haben würden, nach Saalfeld durchzukommen. Die Polizei nahm nach eigenen Angaben alle Demonstranten fest. In Erfurt kam es am späten Nachmittag zu einer antifaschistischen Kundgebung mit mehr als 300 Teilnehmern. In Jena versammelten sich etwa 80 Menschen unter dem Motto "Keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit - keine Kriminalisierung antifaschistischer Politik". Beide Demonstrationen verliefen friedlich. Auch außerhalb Thüringens gab es mehrere spontane Protestdemonstrationen. So versammelten sich mehr als 600 Demonstranten in Leipzig.

Thüringens Innenminister Dewes verteidigte nach Agenturangaben das Vorgehen der Polizei, weil das Bundesland kein "Aufmarschfeld für anreisende Chaoten" werden dürfe. Der Polizeieinsatz ist "bezeichnend für die polizeistaatlichen Entwicklungen" in der BRD, erklärte die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO). Eine Sprecherin des Bündnisses betonte, daß damit eine "neue Qualität staatlicher Repression" erreicht sei.

Georg von Rothhausen


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