Aus für Steffis Haus


 In Karlsruhe soll ein alternatives Wohnprojekt geräumt werden

Für Linke ist Nordbaden Provinz; wer gar alternative Lebensformen in der Stadt sucht, für den sind die Möglichkeiten rar. Umso größerer Beliebtheit erfreuen sich die wenigen Wohnprojekte und Kommunikationszentren, die es in der Gegend gibt. In der vor sieben Jahren besetzten Karlsruher "Steffi" proben fast 6o Menschen das Zusammenleben im Kollektiv - und es funktioniert besser als bei den meisten vergleichbaren Projekten im Lande. Die Gegend ist wohlhabend, die Arbeitslosigkeit in Karlsruhe vergleichsweise gering, so daß fast keiner der Bewohner aus ökonomischen Gründen gezwungen war, in die ehemalige Fabrik in der Stephanienstraße 60-64 zu ziehen. Vielleicht liegt es daran, vielleicht an der geographischen Randlage oder schlicht am Pragmatismus, der die Hausbewohner eint: Man reibt sich nicht in ideologischen Grabenkämpfen auf, sondern konzentriert sich auf das gemeinsame Projekt.

Damit könnte allerdings bald Schluß sein. Am 2. September ist die Räumungsfrist für die Steffi abgelaufen, und der Evangelische Verein für Stadtmission, der auf dem Gelände ein Altersheim errichten möchte, gibt sich entschlossen, die Räumung durchzuführen. 1993 hatte der Steffi-Trägerverein selbstbestimmt Lebende mit der Stadtmission einen Vertrag geschlossen, der den gerichtlichen Räumungstitel bis zur Genehmigung des Bauvorhabens aussetzte, diesen dann jedoch nach einer sechswöchigen Frist vollstreckbar werden ließ. Mitte Juli traf nun das Kündigungsschreiben ein, nachdem der Stadtrat die Baupläne der Stadtmission abgesegnet hatte.

In dem Wohnprojekt zeigte sich, daß ein funktionierendes Zusammenleben nicht zwangsläufig dazu führen muß, daß man das Projekt auch gegen Angriffe von außen zu verteidigen bereit ist: Obwohl Sozialbürgermeister Norbert Vöhringer den Bewohnern bereits vor einem Jahr mitgeteilt hatte, daß er mit einem baldigen Baubeginn rechne, dauerte es lange, bis die Bewohner das Haus mit Fenstergittern und Stacheldraht auf dem Dach schützten. Am 30. August kamen rund 500 Teilnehmer zu einer Demonstration, die damit zur größten in Karlsruhe seit mehreren Jahren wurde. Die Polizei kontrollierte zwar an den Autobahnausfahrten, verhielt sich gegenüber der Demonstration selbst jedoch zurückhaltend.

Unter den Bewohnern breitet sich unterdessen Konfusion aus. Am 25. August hatte Vöhringer überraschend ein Ersatzobjekt angeboten: Das hinter dem Hauptbahnhof gelegene Gebäude mit 30 als Wohnraum nutzbaren Zimmern mit einer Grundfläche von jeweils rund zehn Quadratmetern sowie einer Kantine, in der auch Veranstaltungen durchgeführt werden könnten, würde jedoch nur der Hälfte der Hausbesetzer eine Unterkunft bieten. Außerdem will die Stadt eine Kaltmiete von acht Mark pro Quadratmeter. Im Gespräch mit Vertretern der Steffi führte der Sozialbürgermeister die Offerte aus: Ungeachtet einer dreijährigen Vertragsdauer behält sich die Stadt vor, im Fall einer Bebauung des Grundstücks jederzeit mit dreimonatiger Frist zu kündigen. Aus diesem Grund, vor allem aber, weil das Ersatzobjekt schlicht zu klein ist, ist das Angebot für die Steffi-Bewohner eigentlich inakzeptabel Eine Reihe von ihnen meint aber, ein Haus sei immerhin besser als gar nichts. Bis zum Mittwoch, dem 3. September, hat Vöhringer seine Offerte terminiert. Bei Redaktionsschluß war sich die Steffi-Bewohner noch nicht einig, wie sie reagieren sollen.

Friedrich Geiger, Karlsruhe


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