Scheinbesetzungen in St.Gallen (CH)


Gestern haben Jugendliche in St.Gallen mit Transparenten auf leer stehende Altbauten aufmerksam gemacht. Sie wollten damit zeigen, dass es durchaus ungenutzte Häuser gibt, die sich als «autonome Freiräume» nutzen liessen.

Die Meldung, in der Stadt St. Gallen sei in der Nacht von Sonntag auf Montag ein Dutzend Häuser besetzt worden, sorgte gestern für Aufregung bei Grundeigentümern, Polizei und Medienredaktionen. Eigentliche Hausbesetzungen stellte die Polizei im Laufe der Nacht wie am Montagmorgen dann allerdings nicht fest. In den frühen Morgenstunden, so heisst es in einer Mitteilung der Stadtpolizei, hätten Beamte an ungenutzten Häusern Transparente festgestellt. Diese seien sofort entfernt worden. Kurz vor neun Uhr habe eine Zürcher Medienredaktion eine Stellungnahme verlangt, weil bei ihr eine Mitteilung vorliege, in der Gallusstadt seien zehn Liegenschaften besetzt worden. Bei der Kontrolle dieser Häuser fand die Polizei keine Besetzerinnen und Besetzer, an vier Fassaden aber weitere Transparente. Eine eigentliche Hausbesetzung, so heisst es in der Meldung der Polizei, habe damit bis am späten Montagnachmittag nicht festgestellt werden können. «Bei Häuserbesetzungen», so heisst es in der Polizeimitteilung weiter, «handelt es sich um Antragsdelikte. Ein weiteres Einschreiten der Polizei ist erst nach erfolgter Anzeige durch die Liegenschaftsbesitzer möglich. In der Zwischenzeit wird die Stadtpolizei die Situation mit präventiven, auch zivilen Kontrollfahrten so gut als möglich im Auge behalten.» Bis am Montagabend gingen nach Angaben der Stadtpolizei aufgrund der «Scheinbesetzungen» keine Anzeigen von Grundeigentümern ein.

Für die Aktion im Nachgang zur Kundgebung vom Samstag (siehe Ausgabe von gestern) sind laut Pressemitteilungen «Aktivistinnen und Aktivisten bewegtes und besetztes Güllen» verantwortlich. Sie haben nach eigenen Angaben am Sonntag, 22 Uhr, zehn Häuser «scheinbesetzt». Ihr Vorgehen begründen sie mit ihren Erfahrungen in Zusammenhang mit der Besetzung des alten Restaurant Bavaria und der Tellstrasse 20 vor einem Jahr: Die Gruppe habe keine Lust mehr, «unverhältnismässig brutale Polizeieinsätze bei Hausräumungen über sich ergehen zu lassen», da ihre Mitglieder gegen jegliche Gewalt seien. «Scheinbesetzt» heisse nicht, dass «mit Scheinforderungen» argumentiert werde. Vielmehr habe man mit der Aktion dem Stadtrat und der Öffentlichkeit zu verstehen geben wollen, dass die Forderung «nach selbstgemachtem Kultur-, Lebens- und Wohnraum mit Qualität und Preisniveau» ernst gemeint sei. Weiter habe die Aktion zeigen sollen, dass es dafür leer stehende Liegenschaften gebe. Mit den «Scheinbesetzungen», so heisst es in den Mitteilungen ausdrücklich, hätten die «bewegten Güller» niemand erpressen wollen. Man habe lediglich erreichen wollen, dass Behörden und Öffentlichkeit die Forderungen nach autonomen Freiräumen endlich ernst nähmen. Zentrale Forderung bleibt «ein (nicht durch die Polizei) geschützter Treffpunkt an der Wärme für Jung und Alt». Weiters setzen sich die jungen Leute für Wohn-, Kultur-, Lebens- und Freizeitraum mit einem Preisniveau auch für weniger finanzkräftige Personen und «gegen die Kriminalisierung von Hausbesetzerinnen und -besetzer» ein.

St.Galler Tagblatt, 19.12.2000


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