Über politische Indikationen Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten


  0. Beipackzettel

Das vorliegende Papier soll unsere Position erläutern, sich im Zusammenhang mit dem Vertragsangebot des Bezirksamts Altona nicht in Gespräche mit der Stadt über die Zukunft der Roten Flora zu begeben. Das Ganze ist dann doch etwas umfangreicher geworden, deshalb stellen wir das.Folgende als kleine "Lesehilfe" zur Orientierung voran.

Wir haben an den Beginn unserer Überlegungen eine Reihe von Thesen gestellt, die unsere zentralen Argumente für eine Ablehnung von Gesprächen zusammenfassen. (Siehe oben) Welche/wer sich nur kurz einen Überblick verschaffen möchte, lese diese und die Überlegungen zu Szenarien am Schluß dieses Textes.

In einem ausführlicheren Textzusammenhang versuchen wir, diese Position nochmal nachvollziehbarer zu entwickeln.

In den Abschnitten 1 und 2 analysieren wir unter dem Vorzeichen der seit Ende der 80er Jahre laufenden Umstrukturierung sowie der seit ca. 4 Jahren laufenden Diskussion um die Drogenverbotspolitik in der Schanze die Rolle der Flora darin.

Im Abschnitt 3 versuchen wir eine kurze Einschätzung über die aktuellen Strukturen bzw. politischen Ansprüche der Flora/im Projekt vor dem Hintergrund der letzten 11 Jahre.

Davon ausgehend schätzen wir in einem Rückblick die Überlegungen und Erfahrungen "der" Flora mit den Vertragsverhandlungen 1992/93 im Abschnitt 4 ein, um daraus folgenden zu zeigen, warum wir uns aufgrund dieser Vorgeschichte aktuell eine Wiederholung eines Verhandlungsszenarios nicht vorstellen können. Dies insbesondere auch, weil ein vertraglich geregelter Status des Hauses in der heutigen Situation einen massiven Eingriff in die politischen Strukturen und der politischen Selbstbestimmung bedeuten würde.(Abschnitt 5)

Im letzten Teil ziehen wir ein Fazit und stellen mögliche Handlungsperspektiven, die aus unseren Erwägungen folgen, in unterschiedlichen Szenarien vor.

  1. Die Flora im Kontext der Umstruktarierung des Viertels

Nachdem da Phantomprojekt ‘88 verhindert wurde, ist 1989 mit der Eröffnung der Roten Flora der Versuch gemacht worden, den Entwurf eines Gegenkonzepts zur kommerziellen Verwertung des öffentlichen/kulturellen Raums praktisch umzusetzen.

Zeitgleich wurde Anfang 1990 die Stadterneuerungsgesellschaft (STEG) nach mehrjährigen Planungen innerhalb der Baubehörde gegründet: sie sollte/soll u.a. das Schanzenviertel im

Rahmen des wirtschaftlichen Standortkonzepts der Stadt Hamburg entsprechend umgestalten. Um diese strategische Aufgabenstellung zu realisieren, sollte/sollen die alltäglichen Geschäfte der Umsetzung dieser Vorgaben über das Konzept der Betroffenbeteiligung, Einbindung, Integration und Akzeptanz dieser an kapitalistischer Verwertungslogik orientierten Stadtentwicklungspolitik sichergestellt werden.

Die Flora hat in diesem Prozeß eine ambivalente Rolle gespielt. Einerseits gehörte von Anfang an eine klare Frontenstellung gegen die STEG zum politischen Programm des Projekts. Dies war gekoppelt an den Versuch, die dahinterstehende Umstrukturierungspolitik zu thematisieren – unter dem Slogan "Kein Weg mit der STEG" wurde der im Nachhinein vielleicht etwas überdimensionierte Versuch unternommen, zumindest den linksalternativen stadtteilbezogenen Zusammenhängen deutlich zu machen, daß die STEG nicht mehr, als die weichgespülte Variante knallharter Senats- und Baubehördenpolitik darstellt. Insbesondere indem die Flora sich selbst in den letzteri 10 Jahren mit Erfolg jeglicher Form der Zusammenarbeit mit der STEG verweigerte, ist der STEG die ganz große Verschwisterung mit dem Stadtteil verwehrt geblieben.

Demgegenüber muß aber auf der anderen Seite festgestellt werden, daß die Flora über ihre Außenwirkung zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil zu einer Entwicklung beigetragen hat, die sie per politischem Selbstverständnis eigentlich bekämpfen wollte: die Umstrukturierung des Schanzenviertels zu einem innovativen Standort sogenannter "aufstiegsorientierter Mittelschichten", die jenes "unabdingbare Humankapital" der Neuen-Medien-Branchen darstellen -gerade weil der nichtkommerzielle Veranstaltungsort Rote Flora gut läuft, ist er unfreiwillig Teil einer urbanen, subkulturellen Standortinszenierung geworden, die das Viertel aufwertet und attraktiv macht. Mensch kann der Flora zumindest zugute halten, daß sie sich dieser Rolle bewußt ist und daher die schlimmsten Auswüchse verhindert werden konnten.

Trotzdem hat sich das Quartier in den letzten 10 Jahren unübersehbar verändert, und seit drei Jahren ist der Stadtteil in der Tat gekippt: längst ist er unbestritten im BRD-weiten Standortwettbewerb einer der begehrtesten Adressen für Firmen des Neuen Marktes geworden. Nicht ohne Grund sind die europaweit größten Internetagenturen im Schulterblatt zu finden, kleine Freakläden innerhalb kurzer Zeit zu Großbetrieben aufgestiegen (Kabel-New-Media, Netzpiloten).

Diese ökonomischen Veränderungsprozesse, die im Schanzenviertel sichtbar werden, sind Teil einer gesamtgesellschaftlichen Umgestaltung des Arbeitssektors. So, wie die Branche der Neuen Medien verbunden sind mit der weltweiten Neustrukturierung zwischen logistischer Steuerung in den Metropolen von lohnabhängiger industrieller Massenproduktion im Trikont - Information wird zur Ware - , so sind diese Umstrukturierungsprozesse gleichzeitig mit einer grundlegenden sozialen Deregulierung in allen klassischen westlichen Industrienationen verbunden, deren gesellschaftlicher Auswirkung aller Orten spürbar sind. Hier liegt (grob vereinfacht und in diesem Kontext jetzt etwas kurz angedeutet) ein Grund dafür, daß die sichtbare Diskrepanz zwischen boomenden Schanzenviertel als Standort neuer Gewerbebetriebe und der gleichzeitig im Stadtteil präsenten Verarmung und Verelendung (deren einer Ausdruck die offene Drogenszene ist), nicht so widersprüchlich ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

Die Flora hat sich in diesem Kontext versucht, seit 1997 zu verorten, wozu nun im folgenden einiges zu sagen ist:

  2. Flora seit 1997 - die Forcierung des Ausgrenzungsdiskurses im Viertel

Die aktuelle Forderungen an die Flora, sich an Verhandlungen zu begeben und das Projekt mit einem Vertragsabschluss zu legalisieren, kommen nicht unvermittelt sondern sind die Konsequenz der Entwicklungen der letzten Jahre. Lange Zeit ließ sich von Seiten der Stadt kein sonderliches Bedürfnis feststellen, die Flora öffentlich unter Druck zu setzen. Das änderte sich langsam, als mit den Auseinandersetzungen um die offene Drogenszene und mit den forcierter betriebenen Umstrukturierungs- und Aufwertungsplänen das Schanzenviertel immer stärker in das Blickfeld des öffentlichen Interesses rückte. Bereits im letzten Bürgerschaftswahlkampf 1997 wurde der Stadtteil zum symbolischen Terrain stilisiert, auf dem seitdem die Tragfahigkeit rot-grüner Konzepte zur Sicherheits- und Sozialpolitik und zur Durchsetzung standortorientierter Stadtteilentwicklung ausgefochten wird.

Etwas verspätet, aber immerhin, hat die Flora seit dem Winter 97/98 politisch und praktisch auf die zugespitzte Situation reagiert und eine kritische Position zur Drogenverbotspolitik und ihrer polizeilichen Durchsetzung entwickelt und vertreten. Neben den verschiedenen Ansätzen, der Repression gegen Schwarze, gegen Junkies und Dealer Widerstand entgegenzusetzen und dem Versuch, den Bereich um das Haus für die Drogenszene offenzuhalten, war auch die Diskussion über die rassistische Stimmung im Viertel und deren Bewertung notwendig geworden. Das führte nicht nur dazu, die nestalgisch-naive Bezugnahme auf "unser Viertel" endgültig zu verabschieden und die selbstverständlich gewordene Rede von der Flora als "Stadtteilzentrum" kritisch zu hinterfragen. Auch umgekehrt, bei vielen AnwohnerInnen, verlor die Flora zunehmend an Akzeptanz.

Die Re-Politisierung der Flora an diesen Fragen war nie widerspruchsfrei, weder im Projekt noch im politischen Umfeld unumstritten und selten so nachdrücklich, wie es der Situation nach wie vor angemessen wäre. Sie hat allerdings auch gezeigt, was an gemeinsamer politischer Aus-einandersetzung in einem doch heterogenen Projekt machbar ist.

Zugleich konnte die Arbeit gegen Vertreibung, Repression und Rassismus im Viertel die nicht als erstes und nie allein von der Flora getragen wurde - von der erhöhten Aufmerksamkeit profitieren, die das Projekt als öffentlich wahrnehmbarer und wahrgenommener Ort linksradikaler Politik besitzt.

Die "politische Renaissance" der letzten Jahre hat nicht nur unsere Inhalte und Praxis stärker in die Öffentlichkeit gebracht sondern auch zur Folge, daß die Flora selbst zunehmend zum Problem erklärt wurde: PolizistInnen beklagten, sie könnten im Bereich des Hauses nicht so gegen die Drogenszene vorgehen, wie sie es wollten und müssten dort einen "rechtsfreien Raum" hinnehmen.,Geschäftsleute und AnwohnerInnen fühlen sich von Müll und Drogen bedroht. Der Wunsch der Stadt, nun Verträge abzuschließen, erklärt sich auch daraus, mit diesen "Zuständen" Schluß machen zu wollen. Daß dabei zunächst nicht auf Räumung sondern auf "Gespräche" gesetzt wird, entspricht den politischen Strategien, die Bezirke und Stadt im Schanzenviertel verfolgen. Sie zielen darauf, neben der fortgesetzten und ständig zugespitzten Vertreibung der marginalisierten Gruppen möglichst viel Akzeptanz und Kooperation bei den anderen BewohnerInnen, Geschäftsleuten und Interessensgruppen im Viertel zu gewinnen. Seit zwei Jahren verspricht nicht nur das "Neuner-Gremium" und die "Quartiersmanagerin" STEG die als zentral ausgemachten "Probleme" Drogen, Dreck und Sicherheit perspektivisch zu lösen auch die BürgerInnen selbst bekommen in diversen Foren, Runden Tischen und AG’s Gelegenheit, gestaltend an diesen Lösungskonzepten mitzuwirken. Diese Integrationsangebote zeigen inzwischen gewisse Erfolge, Vom "verslummenden Schanzenviertel" spricht heute fast niemand mehr. Statt dessen inszeniert sich der Stadtteil als attraktiv und zukunftsfähig.

Die momentane Dynamik von Integration und Repression wurde von der Flora in einer längeren Stellungnahme zu "Partizipationsgremien" ("Runde Tische für ein rundes Schanzenviertel") thematisiert. Eine Beteiligung an solchen Gremien wurde ausgeschlossen. Wir wollen uns nicht konstruktiv daran beteiligen, der Lösung obskurer "Probleme" unter der Leitung städtischer und wirtschaftlicher Interessen und auf der Basis repressiver Ein- und Ausschlußmechanismen das "demokratische Wort" zu reden.

Dennoch gibt es immer wieder Integrationsbemühungen und Vereinnahmungsversuche in Richtung Flora. Nicht erst in den Diskussionen um die Zukunft des Projekts, die nach dem 30.4./1.5. wochenlang geführt wurden, waren STEG, Teile von "Standpunkt.Schanze" und der Handelskammer darauf bedacht, den Nutzen des Hauses als Standortfaktor fürs Viertel heraus-zustellen und die Kulturangebote der Flora zu loben. Dieses Bild besitzt einen wahren Kern: Als alternatives Zentrum mit reizvollem Abbruchambiente und gutbesuchten Musikveranstaltungen ist die Flora - wenn auch ungewollt durchaus ein aktiver Bestandteil des Viertelimages und booms.

Unter dieser Perspektive ist die Flora tatsächlich integrierbar. Ob sie sich jedoch integrieren läßt, und gegebenenfalls zu dem verkommt, als was sie gern verharmlost werden soll, muß von uns bestimmt werden.

Den Imagegewin für den Stadtteil, der aus der Flora zu ziehen ist, möglichst gering zuhalten, ist eines der Ziele, die wir mit der Ablehnung von Vertragsverhandlungen verfolgen. Es muß vielmehr darum gehen, klarzustellen, daß Kultur und Politik in der Flora zusammengehören unter den Vorzeichen eines linksradikalen Projekts.

Ganz wesentlich hieße die Bereitschaft zu Verhandlungen auch, unsere politische Positionierung der letzten Jahre zumindest zu verschieben, wenn nicht preiszugeben. Im Zusammenhang mit den Konflikten und Entwicklungen im Stadtteil, in den auch die jetzige Frage um die Zukunft der Flora gehört, wurde von Seiten des Projekts bisher das Zusammenspiel von Integration/Partizipation einerseits und Verdrängung/Repression anderer-seits als funktionale Bestandteile eines Prozesses begriffen und kritisiert Statt deshalb von uns aus die Flora zum verhandelbaren Problem zu erklären, sollten wir einiges daransetzen, die anstehenden Konflikte um die Zukunft des Projekts als den Ort zu bestimmen, an dem die jahrelange Auseinandersetzung um Repression und Vertreibung und die Umstrukturierung des Viertels aktuell zugespitzt werden kann.

  3. Selbstverständnis - Eine Skizze

Die Rote Flora besitzt eine gewisse politische Außenwirkung. Das eröffnet, wie dargestellt, die Möglichkeit zur Intervention in gesellschaftliche und politische Konflikte. Gleichzeitig ist das aber nur möglich, weil es ein bestimmtes Selbstverständnis gibt, das der Struktur des Projekts als selbstverwaltetem und selbstbestimmtem autonomen Zentrum zugrunde liegt.

Die Rote Flora hat in der bestehenden Form das Potential, ein Versuchsfeld für emanzipatorische Veränderungen sozialer Verhältnisse zu sein.

Was heißt das? Sie kann ein Raum mit folgenden Eigenschaften sein:

  4. Vorgeschichte: Verhandlungen 92/93 und die "Lehren"

Auch wenn es schon fast 8 Jahre her ist, aber die Flora hat bereits einmal Verhandlungen mit der Stadt geführt. Nach der Besetzung der Flora im November 1989 wurden Verhandlungen zwischen dem Plenum und den direkt politisch Verantwortlichen (Senat) gefordert, die Akzeptanz des Flora e.V. als alleinigem Träger, Zur-Verfügungstellung von Sanierungsgeldern, um in Eigenleistung eine Instandsetzung auf einfachem Niveau zu ermöglichen, sowie eine lediglich symbolische Miete/Pacht. Abgelehnt wurde eine regelmäßige Förderung des Projekts mit staatlichen Geldern, um eine maximale Autonomie von staatlicher Einflußnahme zu haben.

Damals war die Einschätzung, daß der Senat über kurz oder lang eine Beendigung des politischen Projekts anstreben würde der damalige Innensenator Hackmann mahnte nach eigenen Worten regelmäßig den "rechtsfreien Raum" Flora im Senat an, auch der damalige VS-Chef Lochte riet mehrfach öffentlich via Presse zur Räumung der Flora. Gestalt nahmen diese Strategien von Seiten des Senats im August 1992 an, als die damalige Senatorin für Stadtentwicklung Müller mit der ultimativen Forderung nach Vertragsabschluß binnen 6 Wochen an die Flora herantrat, sonst drohe die Räumung des Hauses.

Vor dem Hintergrund der eigenen Forderungen und in der Einschätzung der politischen Kräfteverhältnisse gab es damals die Entscheidung, zunächst in diese Verhandlungen einzusteigen. Angesichts der damals bereits auch schon seit über zwei Jahren geführten Debatten um Verträge wurden Konsenspunkte auf dem Plenum entwickelt, die in Verhandlungen nicht zur Disposition gestellt werden sollten eher sollte dann eine Räumung in Kauf genommen werden.

Trotz der Energien und dem Engagement, das in diese Verhandlungen gesteckt wurde, haben sich damals deutliche Grenzen der Durchsetzbarkeit unserer Vorstellungen gezeigt. Soweit mensch das heute behaupten kann, wäre von der Flora die Zahlung einer "normalen" Miete doch akzeptiert worden, mit Einschränkungen hätte ein zweiten (stadtnaher) Träger zumindest Teile der Flora mitgenutzt. Trotz dieser Zugeständnisse der Flora fiel aber nach annähernd einem halben Jahr Verhandlung der Senat nach Intervention der Innenbehörde plötzlich fast auf den konfrontativen Ausgangspunkt vom August 1992 zurück. - Hätte damals nicht der Senat, wegen einer Wiederholung der Bürgerschaftswahlen per Gerichtsbeschluß, die Verhandlungen abgebrochen, wäre es entweder zu irgendeinem von einem eilig tätig gewordenen Vermittler erzielten Kompromiss gekommen, in dem die Idee der Flora bis zur Unkenntlichkeit entstellt gewesen wäre; oder am Ende hätte vermutlich die Räumung gestanden.

Seitdem sind einige Jahre vergangen, die Flora hat Höhen und Tiefen erlebt und besteht seit nunmehr 11 Jahren. Faktisch ist das Projekt heute durchgesetzt. Diesen (Zu)Stand versucht der Hamburger Senat und der Bezirk Altona jetzt aber erneut in Frage zu stellen. Inwiefern das so ist, wird im nächsten Abschnitt skizziert.

  5. Aktuell. Verhandlungen 2001 und die "Gefahren"

5.1. Vertrag als Eingriff in die Praxis

Die zur Zeit vorhandenen strukturellen Bedingungen, die andere Formen des Umgangs miteinander auf sozialer und auch materieller Ebene ermöglichen, würden mit einem Vertrag verschwinden oder zumindest stark begrenzt. Die Idee einer selbstbestimmten, gleichberechtigten Gesellschaft könnte nicht mehr praktisch erprobt werden.

Das erste, was ein Vertrag mit sich bringt, ist der Umstand dass er unterschrieben werden muß. Und daraus folgend eine strukturelle Hierarchisierung. Die UnterzeichnerInnen tragen die Verantwortung für die Einhaltung der Vertragsauflagen, was einen emanzipatorischen Umgang erschwert bis unmöglich macht.

Da jeder Vertrag auf geltendem Recht basiert, können politische Meinungen, die der herrschenden Politik widersprechen, nicht mehr so ohne weiteres vertreten werden. Die politische Handlungsfähigkeit wäre damit stark begrenzt. Ein Beispiel hierfür wäre die

Schwierigkeit, eine Praxis, die z.B. mit der Bereitstellung von Aufenthaltsmöglichkeiten versucht, KonsumentInnen illegalisierter Drogen zu unterstützen, fortzusetzen.

Um eine regelmäßige Miete zahlen zu können, müßten früher oder später vielleicht Angebote wie Volxküche ( Bezahlen nach Selbsteinschätzung) oder die kostenlose Nutzung von Räumen und Soliparties/-konzerte eingeschränkt oder eingestellt werden. Somit wäre der politisch-ökono-mische Anspruch, den das Projekt Flora in solchen Fragen erhebt, dahin.

Ohne diese Punkte an dieser Stelle ausführlich zu diskutieren, läßt sich absehen, daß die Vertragsform des Projekts einen enormen Einschnitt bedeuten würde. Dieser Eingriff in die Praxis ist selbstverständlich von Seiten der Stadt nicht unbeabsichtigt. Deshalb noch einiges zum Thema "Befriedung":

5.2.Vertrag und Befriedung

Eigentlich konnte der Hamburger Senat in den vergangenen Jahren ganz gut mit der Flora leben, denn die Existenz eines autonomen Zentrums und die linksradikale Politik in dieser Stadt stellt zur Zeit (leider) keine ernstzunehmende Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar. Dennoch änderte sich die Windrichtung in den letzten Jahren meklich "Law and order" und "subjektive" wie "innere Sicherheit" haben sich in den unterschiedlichsten Facetten zum politischen und publizistischen Dauerthema entwickelt. Auch Rot-Grün ist auf Länder- und Bundesebene deutlich um Profilierung auf diesem Gebiet bemüht. Zusätzlich kommt beständig Druck von der konservativen Opposition, in Hamburg seit neuestem verstäkt durch den reaktionären Populismus Schillscher Prägung.

Vor dem Hintergrund der letzten Jahre - der Stilisierung der Flora zum Ort autonomer Gewalt und permanenten Gesetzesbruchs (Drogenszene, Randale,...) - und im Schatten des bevorstehenden Wahlkampfs, ist die Rede vom "rechtsfreien Raum" symbolisch hoch besetzt.

Unter diesen Vorzeichen verstehen wir das Vertragsangebot als einen Befriedungsversuch. Dahinter steht der Wille, endlich Verantwortliche und GesprächspartnerInnen für die Flora greifbar zu haben, um über diese und über die Bindung an die Rechtsform eines Vertrages die Druckmittel und die Handhabe zu bekommen, um das Projekt besser kontrollieren und politisch beschneiden zu können. Dafür ist es in gewissem Maße sogar unerheblich, wie viele konkrete Spielräume wir in Verhandlungen vielleicht noch offenhalten könnten, denn jeder Vertrag bedeutet einen Zugewinn an Sanktionsmöglichkeiten, die jenseits der auch jetzt bestehenden Kriminalisierangsoption und des Strafrechts liegen.

Zugleich muß der Vertrag für die Stadt so gestaltet sein, daß er auch rechten HardlinerInnen gegenüber als deutlicher Fortschritt im Engagement gegen die "Rechtsfreiheit" zu verkaufen ist. Allzu offenkundige Zugeständnisse an Linksradikale kann sich Rot-Grün im kommenden Wahlkampf nicht erlauben.

Unter diesen Vorzeichen schätzen wir unsere Stärke, einen akzeptablen Vertrag durchzusetzen als zu gering ein - mal abgesehen von ganz grundsätzlichen Überlegungen, die dem entgegenstehen. Im Gegensatz zu den Verhandlungen 1992/93, in denen die Plenumstruktur wesentlich verbindlicher, politisch klarer strukturiert war und deswegen die Gefahr bloßer Vereinnahmung und Integration noch eher hätte abgewehrt werden können, stehen wir heute an einem anderen Punkt. Dazu kommt, daß die konkrete Situation damals eine andere war. nach "3 Jahren" Roter Flora war die Zielvorstellung nach Sicherung des Projekts vorherrschend - darum kann es heute aus unserer Sicht nach über 11 Jahren nicht mehr ernsthaft gehen. Die Flora ist für uns durchgesetzt sie muß ihre "Legitimität" nicht mehr in von der Stadt gesetzten Verhandlungen beweisen. Auch wenn hier natürlich nicht Friede, Freude, Eierkuchen ist, das ist aber nicht auf dem Feld von Verhandlungen zu lösen....

Aus allem Gesagten ergibt sich für uns, daß Verhandlungen wie Verträge abzulehnen sind.

Die Thesen, die diese Position noch einmal knapp auf den Punkt bringen, fanden sich ganz zu Beginn dieses Textes.

Weiter gehts mit Szenarien und Handlungsoptionen:

  Szenarien

Abschließend soll noch skizziert werden, welches die ersten Schritte nach einer Entscheidung gegen Verhandlungen sein könnten. Wie sich, nach dieser ersten Phase, die Lage weiter-entwickelt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Welche möglichen Linien - ob wahrscheinlicher oder eher unwahrscheinlich - die Stadt entwickeln könnte, und wie wir uns darin, oder unabhängig davon selbst weiter entscheiden könnten, soll dann noch kurz vorgestellt werden.

  Der erste Schritt

Es würde darum gehen, möglichst vor der Gegenseite öffentlich zum Vertragsangebot Stellung zu beziehen. Das hätte mehrere Vorteile: Wir bestimmen den Zeitpunkt Eine klare Ansage unsererseits würde ggf. erst mal dazu führen, daß sich Hornauer und Senat mit zu erwartender Kritik von Seiten CDU, PRO, rechten SPDlern, Springer-Presse, ... rumschlagen müssten. Das birgt zwar den Nachteil einer Dynamik, die sich negativ für uns auswirken kann ("harte Linie" bekäme wahrscheinlich Aufwind, Handlungsdruck für die Stadt würde steigen), andererseits hätten wir damit aber auch Publizität und etwas Raum, uns um Vermittlung und Unterstützung zu bemühen, statt in vielen kleinen taktischen Erwägungen (Wie kann wer hingehalten werden?) Zeit zu verlieren. Darüberhinaus wäre damit die Gelegenheit gegeben, den Konflikt inhaltlich mitzubestimmen, statt uns nur gegen Hetze verteidigen zu müssen. Insgesamt birgt dieses Setting natürlich viele Unbekannte.

  1. Positionsvermittlung:

    Erster Schritt Öffentlichmachen der Entscheidung und zwar a) im Rahmen einer Pressekonferenz und b) zeitgleich über einen sehr breit verteilten Text, der die Position vermittelt. (Längeres Faltblatt) Die Vermittlung sollte sich grob an zwei Eckpunkten orientieren: 1.Angesichts der Entwicklungen im Stadtteil und der sich durchsetzenden Dynamik von Integration und Repression soll unsere Entscheidung als politisches Signal verstanden werden. – Flora ist kein "lösbares Problem". 2.Flora ist nicht "verhandelbar": Die Flora muß sich nicht über Verträge legitimieren. Wir verstehen die Offensive der Stadt als Angriff auf das Projekt und stellen dem unsere eigenen Vorstellungen entgegen.

  2. Unterstützung organisieren:

    Möglichkeiten für unterschiedliche Spektren eröffnen, sich in dieser Frage solidarisch mit der Flora zu erklären. Grob skizziert kämen zunächst drei Interessensgruppen in Frage, die wahrscheinlich aus unterschiedlichen Motiven ansprechbar wären: Linke/linksradikale Strukturen in HH, als deren Teil sich die Flora versteht

    Der große diffuse Kreis derer, die irgendeinen, nicht unbedingt politischen Bezug zur Flora haben, sondern den Kasten z.B. von Veranstaltungen kennen und von daher ein Interesse entwickeln könnten, das Haus zu erhalten, insofern klar ist, daß das nur zu unseren Bedingungen und nicht mit einer Vertragslösung zu machen ist. Zusätzlich/damit verbunden, diejenigen, für die an einer solchen Frage eine Politisierung vorangetrieben werden könnte. Kritische aber nicht unbedingt radikale Zusammenschlüsse, die an den Themen (Öffentlicher Raum, Sozial- und Drogenpolitik, Rassismus, Umstrukturierung,...) arbeiten, die den Kontext der Entscheidung gegen Verträge ausmachen. Für Gruppierungen wie die SoPo und andere als mgl. AnsprechpartnerInnen könnte es vermittelbar sein, daß Flora es wesentlicher findet, die Auseinandersetzung um die "Vierteldynamik" zu führen, als die eigene Existenz legal abzusichern.

    Ziel wäre, die Unterstützung für die Flora personell und thematisch möglichst breit zu organisieren und im Rahmen einer solchen Kampagne, Raum für die Schwerpunkte anderer Gruppen zu schaffen.

  3. "PR-Arbeit: Radiosendung, Plakatserie, Postkarten, Unterschiedliche Aktionen und Veranstaltungen in der Flora und anderswo,.... Es gibt viele Möglichkeiten.

  Was passiert dann? 7 Varianten zur freien Variation

  1. Business as usual

    Wir entscheiden uns, nicht in Panik zu verfallen, machen handfeste Öffentlichkeitsarbeit und setzen ansonsten unsere Alltagspolitik fort. (Denkbar wäre, demonstrativ zu vermitteln, daß wir vom Erhalt des Projekts ausgehen, indem wir beispielsweise im Rahmen einer großangelegten Bauwoche die längst überfälligen Renovierungsmaßnahmen durchführen.)

  2. Es geschehen noch Zeichen und Wunder

    Aus unwahrscheinlichen Gründen entscheidet sich die Stadt, die stillschweigende Duldung des Projekts fortzusetzen und kommt mit dieser Linie trotz des Wahlkampfs durch.

  3. "Das letzte Gefecht

    Unsere "Provokation" wird mit Gegenprovokationen beantwortet, es ergehen erst dringliche Appelle und Ultimaten, dann Räumungstitel. Wir mobilisieren gegen die Räumung, großes Polizeiaufgebot, Auseinandersetzungen und ein möglichst eleganter Abgang unsererseits folgen.

  4. Sudden death

    Die Gegenseite erspart sich die Mühen rechtlicher und politischer Auseinandersetzungen und einer langangelegten Mobilisierung unsererseits. Sie setzt selbst den Punkt, indem sie einen nichtigen Vorwand (Lärmbelästigung) sucht, um nach SOG die Bullen ins Haus zu schicken. Vielleicht verzichten sie auch auf den Vorwand und präsentieren uns eines frühen Morgens vollendete Tatsachen. Eine sehr unangenehme Vorstellung, weil sie uns, zumindest für den Zeitpunkt der Räumung, jede Handlungsoption nimmt.

  5. Die Abseitsfalle

    Wir kommen zu der Entscheidung, weder auf eine angekündigte Räumung zu warten, noch Kräfte im nächtelangen Warten zu verschleißen und bestimmen selbst Form, Ort und Zeitpunkt der Auseinandersetzung/Eskalation. Phantasievolle und überraschende Effekte sind vorstellbar. Der Ausgang des Ganzen ist relativ gewiß, nur gäbe es idealerweise einen nützlichen Mobilisierungseffekt für die Folgezeit.

  6. Die gute Tante

    Irgendwelche Dritten mit Sympathien für unser Projekt, dem nötigen Kleingeld und einer gewissen Reputation bei der Stadt mischen sich in die Auseinandersetzung. Eine Übernahme des Hauses (Kauf, Einrichtung einer Stiftung o.ä.) wird angeboten, verbunden mit der Möglichkeit für uns, das Projekt weitgehend weiterzuführen wie bisher.'Die Bewertung einer solchen Option ist zum jetztigen Zeitpunkt schwierig und ließe sich wohl erst in der entsprechenden Situation fundiert treffen.

  7. Trojanisches Pferd

    Wir erklären irgendwann von uns aus das Projekt Flora für beendet und bieten das Haus anderen akzeptablen Gruppen/Projekten aus dem linken Spektrum an.

Arbeitskreis Medicas


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