Michael Barrax - Bericht von der Teilräumung |
Nachdem ein Räumfahrzeug der Barrikade ihre Funktion nimmt und die anwesenden Bauarbeiter der Firma Seipl sowie die Möbelpacker des Transportunternehmens Kümmel freien Zutritt haben, beginnen diese damit, mit ihren Lastfahrzeugen das Gelände zu befahren.
Parallel dazu werden die beiden Zufahrtsstraßen mit Gittern abgesperrt und ein Bagger beginnt, unsere Ostmauer einzureißen. Um den ummauerten Eingangsbereich tummeln sich an die 70 Schergen, die Ausweiskontrollen durchführen und niemandem Zutritt gewähren, der nicht bei uns gemeldet ist. Mindestens 30 Einsatzwagen, einige Hafttransporter (prophylaktisch für die potentiell Kriminellen) und ein Sanitätsfahrzeug parken rund um´s Gelände, ein Wasserwerfer steht direkt vor dem Tor und zielt auf die BewohnerInnen.
Als erstes beginnen die Bauarbeiter damit, den zentralen Hof, der von Platanen bestanden ist, einzuzäunen und den Spielplatz der Kinder ohne ersichtlichen Grund zu zerstören.
Die erste Festnahme erfolgt, als ein Bewohner über den Zaun steigt, um zu seinem Bus zu gelangen, in dem er lebt. Weil er nicht sofort auf den ausgesprochenen Platzverweis reagiert, wird er mehrere Stunden in Verwahrung genommen, ohne ein Anwaltstelefonat durchführen zu dürfen.
Er muss eine ED Maßnahme über sich ergehen lassen, obwohl es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Zu den beiden akut betroffenen Häusern gibt es kein Durchkommen mehr, uns wird untersagt, nach der hochschwangeren Bewohnerin zu sehen, keiner darf den abgesperrten Raum betreten, Platzverbote werden ausgesprochen.
Die östliche Mauer wird von einem Bagger eingerissen, während drinnen unsere Briefkästen abmontiert und weggetragen werden. Die BewohnerInnen der Häuser 826 und 827 werden aufgefordert, zügig ihre Habseligkeiten in die bereitstehenden LKW´s zu räumen.
Den von uns angerufenen SympathisantInnen und UnterstützerInnen wird unterdessen von den Grünen der Zutritt zum Hof verwehrt, viele gehen wieder heim, ohne uns helfen zu können.
Wir bemerken um etwa 830 Uhr, dass die Strom- und Wasserversorgung des gesamten Geländes unterbrochen ist, dieser Zustand hält bis in die frühen Nachmittagsstunden an, in einigen Häusern auch länger. VertreterInnen der Presse, drei Fernsehteams und ca. 30 SympathisantInnen, die sich durch diverse Tricks auf den Hof begeben konnten, finden sich auf dem wieder eröffneten militärischen Stützpunkt Michael Barrax ein. Unser Anwalt, der gegen 1000 Uhr eintrifft, versucht, die Gerichtsvollzieherin davon zu überzeugen, dass der angedrohte Abriss des Hauses 827 wegen der noch aushängigen Verhandlung um die WAL Gemeinschaftsräume womöglich rechtswidrig ist. Bis etwa 1400 Uhr werden wir in dem Glauben gelassen, Frau Kirchner sehe dies ein, die angestrengten Verhandlungen um die 827 erstrecken sich über mehrere Stunden.
Als der Rechtsanwalt der Gegenseite, Herr Arnoul, um 1400 Uhr auf der bereits im regen Betrieb florierenden Baustelle eintrifft, zeigt er ein Urteil des Landgerichts vom 19.02.00 vor, welches bis heute, 10 Tage später, weder uns noch unserem Anwalt zugestellt worden ist.
Die Vollstreckerin Kirchner versucht vergeblich, den Wisch einem "Organwalter" des WAL (Verein Wohnen Arbeiten Leben e.V., über den sich die BewohnerInnen selbst verwalten) zu überreichen und wählt dann den Weg in die Offensive, als sie den Titel in Vereinsräumlichkeiten niederlegen will. Dabei praktizieren sie und die beteiligten Bullen Sachbeschädigung, bei der vor dem Eingang deponierter Hausrat zu Bruch geht.
Auch vor Hausfriedensbruch schrecken die gut gelaunten Einsatzkräfte nicht zurück, denn gegen das gestürmte Haus 829 besteht kein Vollstreckungstitel, es wird legal bewohnt und gemietet. Die BewohnerInnen des Hauses nutzen ihr Hausrecht und versuchen, den Zutritt zu verweigern, indem sie sich vor den Eingang stellen, wobei sie maximal zu viert sind, weil die Exekutive mit mindestens 20 Mann sofort interveniert. Bei dem entstehenden Angriff auf die BewohnerInnen wird eine Frau zu Boden geworfen, geschlagen und am Kopf getreten. Ein Mann, der ihr zu Hilfe kommen will, wird verhaftet, weil der Prügelknabe simuliert, er habe ihm mit seinem Funkgerät auf den Kopf geschlagen. Der Helfer wird über acht Stunden festgehalten, auch er wird Opfer einer ED Maßnahme, darüber hinaus wird ihm sogar Blut abgenommen!
Weitere Schikanen erfolgen durch einen Menschen, der sich als Mitarbeiter des Amtes für Staatsschutz vorstellt und Fotos macht, Leute anquatscht und ausfragt. Einem Bewohner des Hauses 834 wird eine Summe in Höhe von DM 500,- sowie sofortiger Ersatzwohnraum angeboten, wenn dieser seine Wohnung räumt. Die 834 ist das nächste Haus auf der schwarzen Liste der NH respektive des Projektleiters Kaleve, der offensichtlich keine Mittel scheut.
Während all dies passiert, decken Arbeiter mit weißen Schutzanzügen und Mundschutz das angeblich asbestverseuchte Dach des Hauses 826 ab. Weder die Sicherheitsvorkehrungen noch der Umgang mit den vorgeblich asbesthaltigen Schindeln entspricht den gesetzlichen Richtlinien.
Die BewohnerInnen des Hauses haben - wenn das Argument Asbestverseuchung faktisch richtig ist - jahrelang in kontaminierten Räumlichkeiten gelebt, was keinen der Entscheidungsträger je interessiert hätte. Jetzt, wo ein schneller Abriss wegen "Gesundheitsgefährdung" gerechtfertigt werden soll, sind diejenigen sehr besorgt um uns, denen es nichts ausmacht, eine Hochschwangere und eine Mutter mit Kleinkind aus ihren Wohnungen zu vertreiben und durch den Abriss zweier Häuser fast zehn Menschen obdachlos zu machen.
Nachdem die Dachschindeln dilettantisch entfernt worden sind, erscheint eine Sondereinheit aus etwa 20 Bullen im Kampfanzug, die sich demonstrativ in einer Reihe vor dem Bauzaun postieren. Trotzdem wir der Räumungsfetischistin Kirchner einen Einspruch gegen das Urteil des LG vorlegen, ignoriert diese die Tatsache und schafft Fakten, indem sie den Abriss beider Häuser genehmigt. Um ca. 1700 Uhr beginnen die Bauarbeiter, die Häuser zu zerstören, die Bagger fressen sich durch die über 70 Jahre alten Gemäuer, die nach einem Gutachten von 1993 als "denkmalschutzwürdig" erachtet wurden.
UNSERE BILLANZ |
Das brutale Vorgehen der Entscheidungsträger aus KEG und NH und deren Vollstrecker am 29.02.00 hat uns folgende Konsequenzen gebracht:
...trotz alledem... |
unsere Pläne für die nahe Zukunft
Wir sehen nicht ein, dass unsere Häuser zerstört und unser Leben reduziert wird, während die NH offen zugibt, dass mit den Neubauten erst im Sommer 2000 begonnen wird. Nach Aussagen des Projektleiters Kaleve wurden die Häuser bereits jetzt abgerissen, "um zu verhindern, dass es wieder zu einer Besetzung kommt" (und somit der zivile Ungehorsam ein Ende hat!).
Um uns klar zu positionieren und unsere Empörung und unseren Protest zu bekunden, planen wir für die nächsten Tage und Wochen einige Aktionen in Frankfurt.
Am Mi., den 01.03.00 haben wir einen spontanen Demonstrationszug durch die Innenstadt Frankfurts initiiert, unser Ziel war das Stadtparlament, vor dem sich die etwa 20 DemonstrantInnen versammelt haben. Dabei wurden Flugblätter verteilt, Musik gehört und Unterschriftenlisten herumgereicht.
Am Do., den 02.03.00 gibt´s bei uns ab 21:00 Uhr eine Filmvorführung in der Galerie auf Zeit, die auch vom Abriss bedroht ist.
Am Fr., 03.03.00 veranstalten wir einen Session- und Partyabend
Am Sa., 04.03.00 um 14:00 Uhr findet das dritte Projektverbindungstreffen statt, diesmal bei ProWoKultA, Am Ulmenrück 7, Frankfurter Berg. Eingeladen sind alle, die sich nicht weiterhin nur in "ihrem" Projekt / "ihrer" Gruppe zurückziehen wollen und den Austausch mit VertreterInnen anderer Projekte suchen.
Abends knüpfen wir mit einer After Hour in den Barrax an die Party in Wetzlar an
Am So., 05.03.00 ab 14:00 Uhr weihen wir unsere Internationale Begegnungsstätte für kulturellen Austausch und Völkerverständingung offiziell ein und veranstalten einen Tag der offenen Tür.
Involvierte (und bedrohte) Projekte:
Am Fr., 17.03.00 ab 2000 Uhr gibt´s bei uns ein Soli Konzert zur Unterstützung des Häuserkampfes mit 6
Punkbands:
Pogo gegen den Abriss in den Michael Barrax
[squat!net]