Polizei - wieviel Grün verträgt Berlin |
Herr Wieland, werden die Berliner Polizisten gehätschelt?
Wieland: Auf jeden Fall wehre ich mich gegen die Dramatisierung durch die Gewerkschaft der Polizei, die einen heißen Herbst ankündigt und zum Aufstand aufruft. Den Berliner Polizisten steht das Wasser mitnichten bis zum Hals, wie sie behaupteten, als sie demonstrativ in den Tegeler See marschierten. Höchstens bis zum Bauch.
Und auf 2.000 Stellen kann man verzichten...
Wieland: Ohne weiteres. Bei vergangenen Sparrunden waren die Polizisten die Hätschelkinder des Senats. Alle anderen mußten Federn lassen. Das habe ich gesagt und dazu stehe ich auch.
Schönberg: Ich muß doch sehr bitten. Polizeibeamte arbeiten auch eine Stunde länger ohne Lohnausgleich. Außerdem haben die Hätschelkinder zwischen 1992 und 1996 bereits 1.747 Stellen verloren. Wenn man 2.000 Stellen einspart und noch mehr kürzen will, braucht man wenigstens ein vernünftiges Konzept. Das gibt es aber zur Zeit nicht. In der jetzigen Lage ist das Limit erreicht.
Die Lage stellten Sie jüngst auf einer Pressekonferenz unter der Überschrift "Berlin - Hauptstadt der Gewalt" vor. "In jeder Stunde wird ein Bürger dieser Stadt zusammengeschlagen", heißt es da unter anderem. Selbst die Innenverwaltung hat sich gegen die dramatische Inszenierung gewandt und Sie der Übertreibung bezichtigt.
Schönberg: Es ist aber eine Tatsache, daß die Kriminalität seit Jahren steigt. Der Anstieg bei Raubüberfällen und Körperverletzung ist schlicht beängstigend. Wir sagen ja nicht, daß das Problem mit der Einstellung von 6.000 weiteren Polizisten gelöst ist. Sondern wir setzen uns als GdP für eine vernünftige Reform der Polizei ein, die von Finanzsenatorin Fugmann-Heesing und anderen entgegen aller Absprachen boykottiert wird. Und unsere Unterschriftenaktion gegen Personalabbau bei der Polizei zeigt überdeutlich, daß die Bevölkerung in Berlin Angst hat.
Wieland: Sicher haben die Leute Angst. Mit Ihrem Gerede von der "Hauptstadt der Gewalt" verstärken Sie die aber noch. Das Paradoxe ist doch, daß die, die statistisch am seltensten in den Opferstatistiken auftauchen - alte Menschen und Frauen, wenn man einmal die Sexualdelikte wegläßt - die größte Angst haben. Die Hauptbetroffenen, männliche Jugendliche, fühlen sich hingegen sehr sicher in Berlin. Ich verstehe ja, daß Sie sich betrogen fühlen, wenn ein bereits geschlossenes Bündnis mit der Innenverwaltung gebrochen wird. Damit haben Sie ja recht. Aber bewahren Sie doch bitte Augenmaß und verängstigen Sie die Bevölkerung nicht mehr als nötig.
Dennoch bleibt die Angst real. Teile der Mittelschicht wandern ab; nicht nur alte Leute trauen sich nachts nicht in die U-Bahn. Und es werden tatsächlich immer wieder Menschen überfallen, ausgeraubt, zusammengeschlagen.
Wieland:Dem muß man aber rational begegnen.
Wie denn?
Wieland: Man muß den Bürgern im Bereich Innere Sicherheit die Mitarbeit anbieten. In Friedrichshain und in Neukölln gibt es bereits kriminalpräventive Foren, an denen die unterschiedlichsten Gruppen teilnehmen. Dort können Leute sich einbringen und Vorschläge machen, wie man der Gewalt in ihrem Kiez begegnen könnte. Darüber hinaus wollen auch wir eine präsentere und kieznähere Polizei und die Einführung von Fuß- und Fahrradstreifen. Aber wir wollen Polizisten als Helfer und nicht als Sheriffs. Eine andere Idee: Auch bei der Stadtplanung könnte man eine "Sicherheitsverträglichkeitsprüfung" einführen - so daß die ängstigenden Plätze von morgen gar nicht erst entstehen.
Schönberg: Wir wollen niemanden verängstigen. Aber die Zahlen zeigen doch, daß die bisherigen Bekämpfungsstrategien bei der Polizei wie auch gesamtgesellschaftlich nicht funktionieren.
Woran hapert es denn?
Schönberg: Vor allem an der Prävention. Wir können uns nicht länger daran berauschen, daß wir Aufklärungsquoten um ein Prozent steigern. Straftaten müssen vorab verhindert werden. Das machen wir aber seit 30 Jahren nur noch am Rande. Kraß gesagt, findet Prävention nur in der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle statt - wenn Leute fragen, welches Schloß sie einbauen sollen.
Prävention ist auch das Zauberwort in New York. "Wo immer sich ein Sicherheitsrisiko eröffnet, sofort da sein, nicht erst, wenn's passiert ist", heißt es dort.
Schönberg: So ist es. Deshalb haben Sie den Initiator des New Yorker Polizeikonzepts Bill Bratton eingeladen und mit ihm über "Innere Sicherheit in Ballungsräumen" getagt.
Schönberg: Richtig. Wir wollten uns völlig ideologiefrei über dieses Konzept informieren.
Wieland: Informieren? Sie haben doch schon Ende Juli gesagt, daß Sie New York "unbedingt" für ein Vorbild halten. Das Konzept ist sicher für viele enorm faszinierend. Aber meines Erachtens hat die Tatsache, daß jetzt ständig "New York, New York" gesungen wird, auch etwas mit dem Ruf nach polizeistaatlichen Methoden zu tun.
Schönberg: Das ist ja völliger Blödsinn, uns 50 Jahre nach Kriegsende vorzuwerfen, wir wollten wieder einen Polizeistaat errichten.
Wieland: Das Konzept birgt aber die Gefahr. Die Polizei befindet sich in einem ständigen internen Wettlauf um Festnahmen und Erfolgsquoten. Und letztlich führt die Strategie des Aufräumens nur zu einer Verdrängung von Problemen - und von Randgruppen und Minderheiten: Obdachlose leben in New York inzwischen unterirdisch in U-Bahn-Schächten. Und selbst wer nur auf dem Gehweg Fahrrad fährt, muß damit rechnen, für zwei Tage inhaftiert zu werden.
Schönberg: Fahrradfahrer sind natürlich keine Kriminellen. Aber sagen Sie mir doch mal, warum die sich nicht benehmen können wie vernünftige Menschen? Als wir in der Spandauer Fußgängerzone unsere Unterschriftenaktion machten, haben 'zig Leute zu uns gesagt: "Ihr müßtet immer hier sein, dann heizt hier wenigstens niemand mit dem Rad durch". Alte Leute haben nun mal Angst, umgefahren zu werden.
Wieland: Aber Sie wollen doch nicht im Ernst, daß Berliner Polizisten Bier- und Pisskontrollen durchführen, Leuten ihre Dosen wegnehmen oder sie gleich mitnehmen? Brattons Konzept ist doch folgendes: Jede Normabweichung, jeder Schritt über das Erlaubte hinaus muß mit gleicher Intensität verfolgt werden. Dabei wird die Polizei zum Richter. Das ist eine Aufrüstung, die man nicht tolerieren kann - und die auch in New York inzwischen nicht mehr toleriert wird.
Schönberg: Ich bleibe dabei: Man muß ideologiefrei darüber reden, ob man nicht etwas ändern muß. Die Kriminalitätsbelastung in New York ist seit 1992 um fast 50 Prozent zurückgegangen. In Berlin ist sie um knapp 20 Prozent gestiegen. Wenn angesichts dessen hier auch noch Stellen abgebaut werden, gleichen wir uns New York irgendwann an und können stolz sein, daß wir wenigstens auf einem Sektor internationalen Standard erreicht haben.
Wieland: Ja, Herr Schönbohm...
Schönberg: Schönberg!
Wieland: Ach... Entschuldigung, aber in Sachen New York sind Sie sich ja auch sehr ähnlich.
Schönberg: Na ja...
Wieland: Es tut mir leid, aber ich lasse nicht locker. Ich mußte mir über den Sommer einen Leitz-Ordner "New York" zulegen, so ist es auf uns eingeprasselt. Ich verspreche Ihnen auch, bald hinzufahren.
Schönberg: Ich war schon da.
Und?
Schönberg: Super. Ich bin 27 Jahre Polizeibeamter, da kriegt man einen Polizistenblick: Ich sehe überall Straftäter. Aber da habe ich keine gesehen.
Wieland: Aber auch keine Obdachlosen und Drogenabhängigen?
Schönberg: Doch, und wie. Es wird auch gebettelt, aber nicht so wie hier mit einem Messer in der Hand. Auch in der U-Bahn hab' ich mich in New York in keiner Weise bedroht gefühlt.
Wieland: Irgendwas stimmt mit Ihrem Blick aber nicht: Die Mord- und Totschlagrate ist dort immer noch höher als hier. Objektiv hätten Sie sich also bedrohter fühlen müssen. Und ich wehre mich gegen diesen Paradigmenwechsel, nämlich zu sagen: Wir bekämpfen jetzt nur noch die Symptome, bei abweichendem Verhalten wird zugeschlagen. Der Schwerpunkt muß doch eindeutig auf der Ursachenbekämpfung liegen. Das gilt vor allem für die Jugendgewalt. Wegsperren oder abschieben ist keine Lösung. Der Weg muß sein, das Verhalten der Jugendlichen zu ändern. Dazu muß man ihnen vor allem erstmal eine Perspektive bieten, also den Arbeits- und Lehrstellenmarkt angehen.
Herr Schönberg, es gibt hier keine No-Go-Areas, die weder von der Polizei noch von weiten Teilen der Bevölkerung betreten werden. Wie vergleichbar sind denn Ihrer Ansicht nach überhaupt die beiden Städte? Wie gefährlich ist Berlin? Und für wen?
Schönberg: Ein großer Teil der Gewaltkriminalität spielt sich tatsächlich unter Jugendlichen ab.
Unter männlichen...
Schönberg: Das ist aber nur wenig tröstlich. Dazu kommen wehrlose Menschen als Opfergruppe - der klassische Fall der alten Dame, der die Handtasche geklaut wird. Außer der Gewaltkriminalität steigen aber auch Wirtschafts- und Umweltdelikte in Berlin immens an.
Aber Sie würden niemandem empfehlen, nachts nicht mehr auf die Straße zu gehen?
Schönberg: Ich würde eine solche Empfehlung nicht aussprechen. Aber jeder, der überfallen wird, wünscht sich sicher, daß man ihn gewarnt hätte. Ich stimme Ihnen zu, daß die Polizei noch in der Lage ist, hier in Berlin No-Go-Areas zu verhindern. Aber wenn wir so weitermachen, werden wir das auf Dauer nicht sicherstellen können. Immer weniger Polizisten bei immer mehr Verbrechen - das geht nicht.