Schamzeit beendet

taz-Kommentar vom 8.9.97

Noch vor zwei Wochen übte sich Hagen Saberschinsky in Zurückhaltung. Während der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Eberhard Schönberg, dem ehemaligen New Yorker Supercop William Bratton die Stiefel leckte und von Law-and-order-Allmachtsphantasien auch an der Spree träumte, mimte der Berliner Polizeipräsident den Bedenkenträger. Das New Yorker Modell der Verbrechensbekämpfung, so sein Tenor, sei zwar interessant, aber auf Berlin nur begrenzt übertragbar.

Nun gilt auch für Saberschinsky: Die Schamfrist ist beendet. Ausdrücklich schloß sich der Polizeipräsident der New Yorker Philosophie (und dem Vokabular Landowskys) an, daß die Verbrechensbekämpfung mit dem Vorgehen gegen Kleinkriminalität und Verwahrlosung beginne. Sollen in Berlin also bald Fußgänger, die bei Rot über die Ampel gehen, in Handschellen abgeführt werden? Sollen Graffiti-Sprayer ein paar Tage weggesperrt werden, weil, wer sprüht, auch morden könnte?

Daß die ordnungspolitische Wunschliste der CDU groß ist, ist nichts Neues. Bettelverbote in der Innenstadt gehören dazu ebenso wie die Ausweitung der "verdachtsunabhängigen Kontrollen" auf die ganze Stadt sowie die Videoüberwachung der "gefährlichen Orte".

Bisher scheiterten diese Vorschläge allerdings bei der SPD. Angesichts des Trommelfeuers nicht nur der GdP, sondern nun auch des Polizeipräsidenten steht freilich zu befürchten, daß spätestens bei einer möglichen Neuauflage der Großen Koalition auch Berlin zu spüren bekommt, was zero tolerance bedeutet.

Uwe Rada 


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