Dossier: Kanther, Cops und Kriminelle |
Kanther, Cops und Kriminelle |
Auch der Bundesinnenminister setzt auf saubere Großstädte und bürgernahe Polizei
Es stand im Spiegel: Wenn engagierte Nachbarn nächtens durch schlecht beleuchtete Vorstadt-Straßen kurven und aufpassen, daß auch ja keiner uriniert, wo keiner urinieren soll, dann packt den Dealer und den Meuchelmörder das kalte Grauen. Vor zwei Wochen verkündete William J. Bratton, als Polizeichef in der US-Metropole entlassen, seine Lehre in Berlin. Und Bundesinnenminister Manfred Kanther ließ sich betören von soviel im Gewande des Sachverstands daherkommender reaktionärer Gesinnung. Darum setzte er flugs seine Redenschreiber in Marsch, die setzten ihm das Bratton-Konzept in gute deutsche Worte, welche ein stolzer Kanther am 1. September beim CDU-Symposium "Tatort Großstadt - Handeln für mehr Sicherheit" in Hamburg vortragen konnte.
Die Erfahrungen von Bratton-Stadt, wo das Verbrechen innnerhalb eines Jahres um rund 18 Prozent zurückgegangen sei, will Kanther auf die Bundesrepublik übertragen. Nicht erwähnt wurde auf dem Symposium, daß Kriminologen die Entwicklung in US-amerikanischen Großstädten nicht zuletzt auf eine gewisse Entspannung auf dem Arbeitsmarkt zurückführen, wie sie der Bundesregierung bislang einfach nicht gelingen wollte. Macht aber auch nichts, denn laut Kanther rangiert "die Sorge, Opfer einer Straftat zu werden, gleich nach der Angst um den Arbeitsplatz, bisweilen sogar an gleicher Stelle". Wer sich ständig Sorgen macht, gleich eins über die Rübe zu kommen, der merkt vielleicht gar nicht, daß mittlerweile seine Arbeitsstelle wegrationalisiert wurde. Denn das Böse lauert immer und überall: Insbesondere "in der Anonymität der Großstadtgesellschaft und der Trostlosigkeit mancher Trabantenstädte", gruselt sich Kanther, "wo unbeleuchtete Straßen, uneinsehbare Wohnungseingänge, Parkplätze und Tiefgaragen Tatgelegenheiten bieten, sind, um dauerhafte Erfolge zu erzielen, präventive Maßnahmen unumgänglich".
Wo die Tat - nach dem Prinzip "Gelegenheit macht Diebe" - zur Funktion der Umstände am Tatort wird, so das Kanthersche Kalkül, hilft es auch nichts, Tatursachen zu bekämpfen, die womöglich im sozialen Bereich angesiedelt sind. Es hilft auch nicht, was laut Kanther "das entscheidende Mittel der Kriminalitätsbekämpfung bei Gewaltdelikten" ist, nämlich "Repression, d. h. der rigorose Zugriff auf die Täter durch Festnahme und Bestrafung". Es hilft - William Bratton souffliert - "Community Policing", was der Innenminister als "gemeindenahe Polizeiarbeit" übersetzt. Gemeint ist damit, was Kanther zutreffend als "unsere alte CDU-Forderung" bezeichnet: Sogenannte Kontaktbereichsbeamte, die zu Fuß patrouillieren, sich als "Ansprechpartner" für mitteilungsfreudige Bürger anbieten, schon auch mal noch die eine oder andere Nachfrage stellen, "eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei und Bürger" eben. Und für diejenigen, denen es dann immer noch peinlich ist, sich auf offener Straße mit einem Polizisten zu unterhalten, will Kanther sogenannte Bürgertelefone einrichten.
An Kanthers Überwachungsprogramm ist wenig Neues: Seit Jahr und Tag schleichen Kontaktbereichsbeamte durch Deutschlands Wohnbezirke; wer bei der Polizei anrief, um dort seine neuesten Beobachtungen, verdächtige Vorgänge in der Wohnung gegenüber betreffend, loszuwerden, der hat noch immer ein offenes Ohr gefunden. Doch der Minister ließ auch nicht unausgesprochen, um was es ihm in Wahrheit geht: Auf allen Ebenen soll mehr Geld für die Polizei ausgegeben werden. Nicht nur die ursprünglich allein für die Grenzüberwachung vorgesehene Bundespolizei Grenzschutz will Kanther erheblich aufrüsten und damit befähigen, den Landespolizeien in allen Situationen unter die Arme zu greifen, auch die Länder selbst sind aufgefordert, mehr Geld in ihren Sicherheitsapparat zu pumpen. Was in Kampfanzüge gekleidete Bundespolizisten mit "Community Policing" zu tun haben? Eigentlich nichts. Aber nächstes Jahr ist Wahl, und "wir können auf diese Weise in einem wichtigen Bereich die Leistungsfähigkeit unserer Politik und unseres Staates beweisen" (Kanther).
Andreas Dietl