Hotlines für Spitzel Junge Welt vom 2.9.97

CDU setzt auf New Yorker Methoden gegen Kriminalität in Großstädten. von Tilo Gräser

Eine Lieblingsbeschäftigung des Ordnung und Sicherheit liebenden deutschen Spießbürgers möchte Bundesinnenrninister Manfred Kanther (CDU) beim Kampf gegen die Kriminalität in den Großstädten einsetzen: Spitzeln. Bei Kanther heißt das »Soziale Nachbarschaftskontrolle«. Die will er durch »Bürgertelefone« bei der Polizei neu beleben.

Diese Spitzel-Hotlines gehören zu den angeblich neuen Methoden im Kampf gegen das großstädtische Verbrechen, die der Bundesinnenminister am Montag auf einem Kongreß der Bundes-CDU zur Inneren Sicherheit in Hamburg präsentierte. Kanther schlug Modellversuche in den Ländern vor. Dazu sollen der Einsatz des Bundesgrenzschutzes (BGS) gehören, ebenso Schnellverfahren der örtlichen Justiz, Überwachung durch die Ordnungsämter, »gemeindenahe Polizeiarbeit« und die sogenannten Bürgertelefone in den Lagezentren der Polizei.

Kanther begründet das mit der Kriminalität in den Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern als »ernster Bedrohung für die Bürger«. So seien dort 47 Prozent aller 1996 in Deutschland registrierten Straftaten begangen worden. Bei den Raub- und Diebstahldelikten, Körperverletzungen, Rauschgiftdelikten und Sachbeschädigungen stehen die Großstädte laut Kanther an der Spitze.

So wie die USA beim Sozialabbau das Vorbild für die Bundesrepublik sind, sind sie es für den Umgang mit den Folgen. Gegen die zunehmenden sozialen s Probleme sollen Polizei und Gefängnisse helfen. Das große Interesse bundesdeutscher Law-and-order-Vertreter an den US-amerikanischen Rezepten zeigte sich unlängst beim Besuch des ehemaligen New Yorker Polizeichefs,William J. Bratton. Dessen rabiates Konzept, nachdem jeglicher Gesetzesverstoß durch eine personell aufgestockte und technisch hochgerüstete Polizei verfolgt wird, gilt als Mustervorlage. Damit sei die Verbrechensrate in New York in Größenordnungen gesenkt worden. Und so wiederholte Kanther am Montag in Hamburg den Bratton-Spruch, daß aus kleinen Verstößen schnell ein schweres Verbrechen werden könne -jeder Schwarzfahrer und Graffiti-Sprüher als potentieller Schwerverbrecher. Abschreckung statt Vorbeugung.

Blind für die systembedingten Ursachen jammerte Kanther in Hamburg über die »unverbindlichen und flüchtigen« zwischenmenschlichen Beziehungen in den BRD-Großstädten, über Anonymität, soziale Gleichgültigkeit und mangelnde Bereitschaft zu Mitverantwortung. Eine Analyse des Zusammenhangs zwischen dem von sozialen Wohltaten entschlackten Kapitalismus und sozialer Desintegration wäre von den Predigern des Neoliberalismus in der CDU auch zuviel verlangt.

Die Ideen deutscher Sicherheitsdenker und Saubermänner sind die Begleitmusik zur fortgesetzten Umverteilung von unten nach oben. Die von Kanther und Co. vorgeschlagenen Methoden zur Verbrechensbekämpfung sind nicht neu. Sie greifen immer öfter in alte Kisten. Die Sozialdemokraten versuchen inzwischen, ihnen dabei zuvorzukommen. Der Große Lauschangriff geht mit auf ihr Konto

Längst wird der BGS in Großstädten eingesetzt. Schon 1994 wurden seine Befugnisse als Bundespolizei erweitert. Bald wird auch wieder über den Vorschlag von CDU/CSU-Praktionschef Wolfgang Schäuble gesprochen werden, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen.


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