Hamburg: Festspielwoche zum Erhalt der Roten Flora


15.12.2010

In dieser Woche beginnt in Hamburg eine Festspielwoche zum Erhalt der Roten Flora. Hintergrund ist ein drohender Angriff auf das Projekt ab März 2011. Bereits seit Anfang des Jahres gibt es Vollversammlungen und Treffen zur aktuellen Situation. Im Januar diesen Jahres fand eine erste Vollversammlung mit über hundert Teilnehmer_innen statt. In der Einladung wurden verschiedene Fragestellungen für kommende Auseinandersetzungen formuliert: "Die Geschichte der Flora ist geprägt von praktischen Interventionen und auch ein Kampf um deren Erhalt wird solche Formen annehmen. Die militante Verteidigung wird z.B. ein wesentlicher Aspekt unmittelbar vor und nach einer Räumung sein. Dies wird, wie auch andere Formen der Solidarität, kein Selbstläufer sein, sondern muss sich jenseits von Verbalradikalität entwickeln. Die Erfahrungen dafür lassen sich aus der Praxis aktueller Kämpfe von anderen Projekten oder Politikfeldern ziehen. [...] Uns interessiert, wo wir Bedingungen und Verknüpfungen für die Möglichkeit politischer Interventionen herstellen können. Der Kampf gegen Sexismus, Antisemitismus, Rassismus oder Nationalismus, das selbstkritische Bewußtsein von diesen Macht- und Herrschaftsstrukturen durchwoben zu sein und dieses Verhältnis zum Gegenstand und Ausgangspunkt zu machen, ist für uns ein untrennbarer Bestandteil einer Kampange für den Erhalt der Flora. Das, wofür wir Postionen ergreifen und die Verhältnisse im Alltag, denen wir uns verweigern wollen, stehen für uns im Zentrum dessen, was wir mit der Flora verteidigen wollen." In der Folge wurde eine Plattform gegründet mit Gruppen und Einzelpersonen die sich solidarisch zur Flora verstehen. http://www.nadir.org/nadir/initiativ/roteflora/text/widerstandundperspektiven.html

Zum Schanzenviertelfest im September wurde schließlich ein Text zum Start der Kampange "Unverträglich glücklich" veröffentlicht, der zum Widerstand gegen eine mögliche Räumung aufrief. "Wir warten nicht ab, was die Propagandist_innen des Standorts Hamburg, von Kommerzkultur und Law and Order für unsere Zukunft bereithalten. Wir starten jetzt mit der Kampagne „Unverträglich glücklich“, die nicht auf rein defensive Konservierung des Gebäudes und seiner Inhalte ausgerichtet ist, sondern den Charakter der Flora als Ausgangs- und Knackpunkt emanzipatorischer Kritik nicht nur im Stadtteil weiterentwickelt und verstärkt."

http://de.indymedia.org/2010/09/289844.shtml

Squat this City!

In mehreren Städten fanden erste Veranstaltungen statt und im Rahmen verschiedener Proteste um Recht auf Stadt wurde die Situation des Projektes aufgegriffen. Im Rahmen der Besetzung eines leerstehenden Neubaus wurde u.a. formuliert: " Die Flora braucht keine Investoren, Eigentümer oder Besitzer, egal ob städtisch oder privat. Sie braucht auch keine Verträge oder Verhandlungen, sondern weitere besetzte Häuser in der Nachbarschaft!" Im Oktober gingen in Hamburg mehr als 5.000 Menschen unter dem Motto „Leerstand zu Wohnraum“ auf die Straße, um gegen steigende Mieten und Leerstand sowie für die Legalisierung von Hausbesetzungen zu demonstrieren. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis von 108 Initiativen, Vereinen und Organisationen (Bericht zur Demo http://de.indymedia.org/2010/10/292826.shtml ). Im Rahmen eines autonomen Blockes wurden dort unter dem Motto "Squat this City" weitere Besetzungen als aktuelle Form politischer Proteste angedroht und die Verteidigung von Projekten angekündigt: "Ebenso wichtig wie der Prozeß der Aneignung selbst ist uns die Verteidigung von bedrohten Projekten wie der Roten Flora, der Køpi, Liebig14 oder Rigaer94 in Berlin."

http://jumpandrun.blogsport.de/autonome-projekte-verteidigen/

Festspielwoche

Nun findet eine Woche mit Konzerten und Veranstaltungen aus dem Umfeld von "Not in our Name" und "Recht auf Stadt" statt. Medial wurde im letzten Jahr immer wieder eine Isolierung der Roten Flora an die Wand gemalt. Das Zentrum sei ein "UFO im Stadtteil" und trage nichts zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen oder der Entwicklung der Kulturszene in Hamburg bei. Die Flora habe ihre Berechtigung gehabt, sei nun aber überflüssig und anachronistisch geworden. Mit der Veranstaltungswoche wollen Künstler_innen und Musiker_innen nun politischen Gegenwind erzeugen und zum Ausdruck bringen, dass die Flora weder isoliert, noch überflüssig ist, sondern ein wichtiger Bestandteil der Protestkultur. Bands wie Egotronic, Jan Delay, die Goldenen Zitronen, 1000 Robota, Abbau West, School Of Zuversicht und Hoo Doo Girl spielen an Orten wie Kampnagel, dem Übel und Gefährlich, der MS Stubniz, der Ludwigstraße 18 und dem Gängeviertel. Höhepukt bildet eine Benefizgala in der Fabrik. Zudem wurden die Feierlichkeiten zu 21 Jahre Pudel Club in den Rahmen der Festwoche zur Roten Flora gestellt. Die Woche wurde nicht von der Roten Flora organisiert, sondern ganz bewusst von Menschen die mit eigenen Inhalten Solidarität für das Projekt entwickeln wollen. Von der Flora wird unterstützt, dass sich Leute selbstbestimmt zum Teil dieser Auseinandersetzung machen. Das Projekt sieht sich nicht als Selbstzweck um die eigenen vier Wände, sondern als offenen Konflikt um städtische Räume und gesellschaftliche Entwicklungen.

http://nionhh.wordpress.com/2010/12/02/ich-wurds-so-lassen-die-flora-bleibt-festwoche/

Solidaritätserklärung

In diesem Zusammenhang wurde die Erklärung "Ich würds so lassen" veröffentlicht, die mittlererweile von über tausend Personen und Gruppen unterzeichnet wurde. "Für uns steht die Rote Flora da, wo sie stehen sollte: Mitten auf dem Schulterblatt, linksradikal vollgekleistert, gegen Überwachungsstaat, innere Sicherheit, Repression, AKWs, Nazis und so weiter. Na klar, es ist ein Ort voller Widersprüchlichkeiten: Auf der einen Seite Stachel im Fleisch der Gentrifizierung, seit 1989 erfolgreich dem Gestaltungsdrang von Investoren, Politikern und Eventprofis entzogen. Auf der anderen Seite authentisch-abgewrackte Kulisse für einen „Szenestadtteil“, der Hamburgs „Image als weltoffene und tolerante Stadt” stützen soll, wie die Unternehmensberatung Roland Berger in einem Gutachten zur Standortvermarktung empfiehlt. Wir empfehlen stattdessen den teilnehmenden Besuch der Flora. Die Schauermärchen vom abgeschotteten, garstigen Autonomenzirkel, der sich hier angeblich verbarrikadiert, können wir nicht bestätigen. Wir haben hier gefeiert, getrunken, debattiert, Konzerte gesehen, Partys besucht, und sogar Partys und Konzerte veranstaltet – und werden das weiter machen. Die Rote Flora war und ist ein Ort, den sich Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt nehmen können, wenn sie Dinge organisieren wollen, die im kommerziellen oder staatlich alimentierten Kulturbetrieb nicht gehen." Im Weiteren wird die Bedeutung des besetzten Zentrums für andere stadtentwicklungspolitische Konflikte in Hamburg hervorgehoben und anschließendd festgestellt: "Die Rote Flora ist besetzt. Sie ist und bleibt das große, schmutzige, unverkäufliche Monster, das sich eben nicht als „Katalysator“ oder „Inkubator“ für ein „kreatives Milieu“ einfangen lässt, wie sich es die ganz Fortschrittlichen unter den Stadtentwicklungspolitikern erträumen" wird festgestellt und Widerstand angekündigt.

Online unterzeichnen

Andere Zentren, Politische Gruppen aus dem Recht auf Stadt Umfeld, Wohnprojekte und Gewerbetreibende im Schanzenviertel, Clubs und Agenturen, Bands und Einzelpersonen wie die Goldenen Zitronen, Diedrich Diedrichsen, Jens Rachut oder Melissa Logan haben die Erklärung als Erstunterzeichner_innen veröffentlicht. Weiter Unterzeichner_innen können sich Online auf der Internetseite des Plattenlabels Buback eintragen. Dort ist auch eine Liste der Unterzeichner_innen veröffentlicht. http://www.buback.de/iwsl/index.php#signin

Protestkultur

Am 25. November diskutierten Esk Katzeff von der Forschungsgruppe openhagen aus Kopenhagen, Hannah Kowalski vom Gängeviertel und ein Vertreter der Roten Flora, moderiert von Peter Birke, über das Thema "Die Autonomie und ihre Grenzen - Soziale Zentren in Kopenhagen und Hamburg". Bei der Veranstaltung ging es unter anderem um Widersprüche und Brüche bei unterschiedlichen Konzeptionen von Projekten und Möglichkeiten und Grenzen einer Politik die sich gegen herrschende Stadttentwicklung richtet. Den Mittschnitt der Veranstaltung gibt es als Podcast auf FSK. Die Form der Veranstaltung war ein gelungenes Beispiel, wie öffentliche Diskussionen um die Rote Flora und andere Projekte, eine politische Auseinandersetzungskultur befördern können.

http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=37866

Es geht im Widerstand gegen eine mögliche Räumung der Flora nicht darum, Widersprüche der Bewegungen in einem identitären "wir" zu verkleistern, sondern unterschiedliche politische Ausgangspunkte, als Bereicherung und Chance zu verstehen, um Proteste solidarisch weiterzuentwickeln. Oder wie es Not in Our name Formuliert: "Die „Komm in die Gänge“-Aktivistinnen und Aktivisten mögen ihre Besetzung softer und im bürgerlichen Sinne lösungsorientierter vorgenommen haben – doch hier wie dort geht es im Kern darum, eine Schneise in die unternehmerische Stadt zu schlagen. Wo die Gängeviertel-Aktiven diese Verhältnisse dem Senat in langwierigen Verhandlungen abzutrotzen versuchen, zeigt die Rote Flora, dass man auch ohne Vertrag und offizielle Behördenabnahmen jahrzehntelang einen Freiraum halten kann. So lässt sich voneinander lernen."

Die Festwoche ist ein erster Auftakt für weitere Aktionen im nächsten Jahr. In diesem wird sich maßgeblich entscheiden, wie es mit der Roten Flora weitergeht. Das Projekt selbst geht vergleichsweise selbst bewusst in diesen Konflikt und Verträge werden ebenso abgelehnt, wie Verhandlungen mit der Stadt oder Investoren: "Wir sind auf eine mögliche Auseinandersetzung um die Rote Flora vorbereitet. Wir sehen die Offerte der Stadt auch als Reaktion auf die unmissverständliche Haltung, am unverträglichen Status Quo des Gebäudes festzuhalten. Wir werden auch in Zukunft weder den ökonomischen Standortinteressen der Stadt noch denen anderer Investoren nachgeben oder sonst wie Kreide fressen und einen systemoppositonellen Ort wie die Rote Flora ruhig stellen lassen." Die Festspielwoche wird das Projekt bei dieser Haltung unterstützen und stellt einen starken Auftakt für ein möglicherweise heftig umkämpftes Jahr 2011 dar.

solidarität ist alles


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