Architekturausstellung beginnt mit Misstönen


mju. Es schien am Montagabend alles nach einem erneuten Triumphzug für Hochbauvorstand und Stadtpräsidentschaftskandidat Elmar Ledergerber auszusehen. Die Vernissage der Ausstellung über den «Stand der Dinge» im Zürcher Wohnungsbau stand bevor, und die wahrlich nicht kleine Halle des EWZ-Unterwerks Selnau war fast zum Bersten gefüllt. Die Besucher drängten sich um die Exponate, Pläne und Fotos von gut zwei Dutzend Wohnungsbauten, die in Zürich entweder schon gebaut sind oder vor der Realisierung stehen. Ledergerber schnappte sich das drahtlose Mikrophon und wechselte für seine Eröffnungsansprache ins Hochdeutsche - denn Zürcher Architektur ist mittlerweile kein provinzielles Thema mehr. Er setzte an: Gute Architektur sei ein wichtiger Standortfaktor. Gute Architektur setze Zeichen, ja könne Begeisterung auslösen.

Doch der Teufel, wer weiss es nicht, liegt im Detail. Dieses Detail hat eine Adresse, Hohlstrasse 149 und 151 im Kreis 4 lautet sie. Dort ist ein Neubau geplant mit zehn Eigentumswohnungen; das Projekt ist eines der Ausstellungsobjekte an der Veranstaltung. Dem Neubau muss allerdings ein Altbau weichen, der laut einem Flugblatt zwanzig Bewohnern günstigen Wohnraum bietet, und es regt sich Widerstand: Ledergerber erklärte gerade, dass zwar noch immer 1000 Familien pro Jahr aus der Stadt wegzögen, weil sie keine geeigneten Wohnungen fänden, dass der Trend aber gebrochen sei - da brandete hinten im Saal aus einer Gruppe von rund zwanzig jungen Leuten Applaus auf, der nicht mehr enden wollte. «Bauen, bauen, bauen», skandierten die teils vermummten Demonstranten über die konsternierten Zuschauer hinweg; einige hatten sich Ledergerbers Konterfei als Masken vor die Gesichter gehängt.

Ledergerber blieb ruhig und lud die Demonstranten dazu ein, ans Mikrophon zu treten, wurde aber sofort unterbrochen. «Baustopp, Baustopp», hallte durch die Halle, auf Plakaten stand «Elmar dealt - aber nicht mit uns» zu lesen. Nach wiederholten Aufforderungen Ledergerbers trug eine unvermummte Demonstrantin der Festgemeinde das verteilte Flugblatt bis auf den letzten Punkt und das letzte Komma vor. Der Rückzug des Projekts an der Hohlstrasse wurde gefordert; die Bausubstanz des jetzigen Hauses sei noch immer intakt. Kritisiert wurden auch weitere Bauvorhaben an der Badenerstrasse/Ankerstrasse, dem Kreuzplatz und dem Kellerweg.

Nach dem Radau die Randale: Ledergerber bot erneut das Gespräch an. Die Demonstranten, die sich in der Zwischenzeit seitlich der Bühne gruppiert hatten, bewarfen ihn zur Antwort mit rohen Eiern, zündeten Rauchpetarden und Knallkörper. Beim Ausgang demolierten sie Stellwände des EWZ, bevor sie abzogen. Ledergerber beendete seine Rede nach dem halbstündigen Unterbruch mit sichtlich erlahmtem Elan. «Die Leute vertreten ein Thema, das wirklich eines ist», sagte er einzig über die Demonstranten.

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Zürich und Region, 12. Februar 2002, Nr.35, Seite 45


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