Kartonkrieger


«Wir werden das Cabaret Voltaire bis zum letzten Blutstropfen verteidigen», stimmte General D. die Kombattanten der «Kroesus- Milizarmee» ein, derweil Offizier Majoran Schmacklos noch eilig Kämpfer rekrutierte. Mit Erfolg. Bewaffnet mit Papphellebarden, Maschinengewehren aus Karton und einem mit Bonbons munitionierten Granatwerfer setzte sich eine fünfzig Mann und Frau starke Dada-Armee in Bewegung.

Um ihren Wohnraum fürchten müssen die dadaistischen Besetzer der Liegenschaft an der Spiegelgasse 1. Dort will die Besitzerin des Hauses, die Rentenanstalt, heute planmässig mit der Renovation der oberen Geschosse beginnen. Was mit den Räumen im Parterre und im ersten Stock passieren soll, ist noch unklar und abhängig von den Verhandlungen, die zwischen der Rentenanstalt und der Stadt laufen. Diese Verhandlungen können die Besetzer als ihren Erfolg verbuchen. Mit ihrem Programm und ihren farbenfrohen Aktionen haben sie die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit geweckt. Die Geburtsstätte des Dadaismus soll, sofern öffentliche Mittel fliessen, nicht als Apotheke enden.

Erster Halt des Demonstrationszuges, mit Sympathisanten und Schaulustigen rund 150 Personen stark, war der Rathaus-Polizeiposten. Dort legte General D. unter dem Geheul der «Kroesus- Milizarmee» feierlich einen grossen, roten Fehdehandschuh auf die Türschwelle. Dass die Polizei sich auf kein Duell einliess, lag freilich nicht an ihrer Feigheit, wie ein Redner behauptete, sondern daran, dass der Posten gar nicht besetzt war. So zog die bunte Meute weiter Richtung Urania- Wache, durch die Bahnhofstrasse ans Bellevue und wieder zurück zum Dada-Haus. Zwischendurch verteilten die Krieger Bonbons, und die Polizei, die auf hohem Ross zufällig vorbeikam, sie salutierte brav und schmunzelnd. Am Dada- Haus kam es zu weiteren Fensterausschüttungen. Allerdings befanden sich zum Unmut einiger Jugendlicher allzu viele Blüten im Geldregen.

Der gestrige Umzug, die letzte illegale Nacht im Haus und die heutige Räumung markieren das Ende der «Dada- Festwochen». Die «Kroesus-Miliz» allerdings will weiterhin aktiv bleiben.

NZZ, 2.April 2002


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