Christiania vor dem Aus?


Dänemark will Hippie-Kolonie sanieren und vermieten

Die dänische Regierung will die Gebäude des Kopenhagener "Freistaats" Christiania mit rund 40 Millionen Euro sanieren. Anschließend sollen die Wohnungen vermietet werden. Das bedeutet nach Ansicht von Beobachtern das Ende des etwas anderen Lebens in der ehemaligen Kasernenanlage, die Hippies vor 32 Jahren besetzten.

Von Hannes Gamillscheg (Kopenhagen)

Von Polizei und Bulldozern hat sich Christiania nie schrecken lassen. Zahllose Drohungen, das Gelände mit Gewalt räumen zu lassen, hat der vor mehr als dreißig Jahren selbst ernannte Kopenhagener "Freistaat" überlebt. Doch jetzt bedroht Dänemarks bürgerliche Regierung das soziale Experiment mit einer tödlichen Umarmung: 300 Millionen Kronen, umgerechnet 40 Millionen Euro, will sie aufwenden, um die Gebäude der einst von Hippies besetzten Kasernenanlage zu sanieren, und dann wäre es vorbei mit Christianias Eigenart.

Die Menschen, die nun in Christiania leben, werde man vorübergehend anderswo einquartieren, verspricht der liberale Regierungssprecher Ulrik Kragh. Dann sollen die windschiefen Hütten abgerissen, die Kasernengebäude renoviert werden. In die neu gebauten oder verbesserten Häuser sollen die alten Bewohner einziehen dürfen, "genauso wie alle anderen". Was bedeutet, dass dann die Brieftasche entscheidet, wer sich die attraktiven Wohnungen leisten kann. Die meisten Christianitter wohl nicht.

Die Gesetze der Marktwirtschaft hätten geschafft, was mit juristischen Mitteln 32 Jahre lange missglückt ist: Christiania zu zerstören. Dabei schien das offizielle Dänemark schon seinen Frieden mit der aufmüpfigen Hippie-Republik geschlossen zu haben, die 1971 als Hausbesetzung entstand. Nach Jahrzehnten der Scharmützel schlossen das Verteidigungsministerium als Besitzer der Anlage und Christianias Vollversammlung 1997 ein Abkommen, das den Christianittern ihre Selbstverwaltung ließ. Dafür zahlen sie für ihren Strom- und Wasserverbrauch, die Kneipen und Läden liefern Steuern ab, die ärgsten Brandfallen wurden abgerissen.

Blieb die "Pusher Street" als Eiterbeule Christianias, in der ganz ungeniert mit Haschisch gehandelt wird. Selbst vielen Christianittern ist der fest in der Hand von Rockergruppen befindliche Rauschgifthandel zuwider. Für eine Auseinandersetzung mit den Dealern fehlt ihnen die Kraft. Wohl auch, weil der innere Zusammenhalt im Lauf der Jahre gelitten hat.

Auch in Christiania spiegelt sich die gesellschaftliche Entwicklung wider. Die Abstände zwischen den Etablierten mit guten Einkommen und den sozial Schwachen, für die Christiania die einzige Rettung vor Gefängnis, Straße oder Anstalt ist, nehmen zu. Die Gruppe der Engagierten, denen der Kampf für eine Alternativgesellschaft etwas bedeutet, wird kleiner und älter.

Die meisten Kopenhagener meinen, man solle Christiania bewahren. Selbst die Mehrheit der bürgerlichen Wähler denkt so. Doch die bürgerlichen Parteien haben stets gegen den Freistaat gewettert und die Legalisierung des besetzten Geländes verlangt. So waren sie Gefangene ihrer eigenen Rhetorik, als sie an die Regierungsmacht kamen. Statt mit Gewalt versucht man es jetzt mit Geld. Sanierung statt Abriss.

Doch ohne Vorrecht für die heutigen Bewohner. "Es sollen normale, gesunde Wohnungen werden", verspricht Kragh. "Die meisten" sollen sie sich leisten können. Wohl nicht aber einer wie Hapolong, der seit 28 Jahren in Christiania wohnt, davon lebt, den Kneipen die Geschirrtücher zu waschen und dafür von diesen verköstigt wird. Wo gibt es dann noch Platz für Menschen wie ihn?

geklaut aus der Frankfurter Rundschau


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