"Kein Bock auf Schönbohmsche Lähmung"


Mitten in Berlin wurde am Freitag ein Haus besetzt. Bis gestern ließ die Polizei die neuen Bewohner gewähren. Sie suchen undefinierte Freiräume und vermissen linke Initiative gegen den Aufräummythos

Interview von Gereon Asmuth

taz: Alle besetzten Häuser sind geräumt, sagt Innensenator Schönbohm. Reaktionen gab es kaum. Man hat man den Eindruck, Hausbesetzungen sind passe. Warum habt ihr trotzdem ein Haus besetzt?

Christian: Hier war die Möglichkeit, und ich hab' ab nächsten Monat keine Wohnung mehr. Da gab es trotz veränderter politischer Lage keinen Grund, es aufzugeben, ein Haus zu besetzen.

taz: Neubesetzungen der letzten Jahre wurden in kürzester Zeit geräumt. Auch hier ist eine Legalisierung unwahrscheinlich.

Igor: Da haben wir erst mal nicht drüber nachgedacht. Es muß Freiräume in einer Stadt geben, besetzte Häuser sind eine Variante davon. Ich habe keinen Bock, mich auf die große Schönbohmsche Lähmung einzulassen. Die Leute haben leider schon die Schere im Kopf, daß sie keine Häuser mehr besetzen. Aber es gibt ein Recht auf Wohnen, auch ohne Vertrag.

taz: Wäre für dich mit einer Legalisierung, also wenn es Verträge geben sollte, das Projekt beendet?

Igor: So, wie wir es angefangen haben, ja. Es muß Orte geben, die man frei gestalten kann. Gibt es erst einmal Verträge, dann ist der Spielraum eingeengt. Dann geht es nur um das Hausprojekt, und jeder rettet seinen eigenen Arsch.

Christian: Dafür brauchst du Zeit und gesicherte Verhältnisse.

Igor: Aber gesicherte Verhältnisse führen zu einer Etablierung. Die drei, die hier angefangen haben, wollen kein Hausprojekt.

taz: Was wollt Ihr dann?

Igor: Einen Freiraum, der sich entwickeln kann, für neue Ideen.

taz: Gibt es den in den legalisierten Häusern nicht mehr?

Christian: Was von Grund auf neu aufgebaut wird, bringt auch neue Leute und neue Ideen. Wir haben keinerlei Strukturen. Das ist unsere Chance. Selbstbestimmtsein heißt, persönliche Definitionen mitzubringen und damit das Haus zu füllen.

taz: Paßt Ihr unter das Schlagwort Autonome?

Markus: Ich würd' mich nicht so bezeichnen. Für mich ist der politische Sprengstoff das Wichtigste, zu zeigen, in Mitte, also mitten ins Herz, ziehen auf einmal Leute, die da eigentlich nicht mehr hingehören. Ich bin erst kurz in Berlin, aber war frustiert, weil hier alles total gelähmt ist. Die Linke atomisiert sich in Grüppchen. Das Witzige ist ja, daß es für viele, die jetzt hier sind, die erste Besetzung ist.

Igor: Es gibt so einen komischen Jörg-Schönbohm-Mythos, daß die Stadt aufgeräumt werden soll...

taz: ...aber es wird aufgeräumt...

Igor: ...aber es wird immer auch Nischen geben und geben müssen. Wir müssen die erkämpfen. Wenn Schönbohm sagt, es wird keine besetzten Häuser mehr geben, dann muß man das austesten. Da oben sind doch auch nur Pappkameraden, die sagen, wir machen das jetzt so und so. Doch alle, auch aus der Linken, sagen, okay, das machen die jetzt so und so, also versuchen wir es gar nicht wieder.

taz: Welche Reaktionen gab es bisher von außen, von der Polizei?

Igor: Die sind nur vorbeigelaufen. Die wissen seit Freitag abend, daß wir hier sind. Vielleicht warten die erst den 1. Mai ab. Aber es ist mir in gewisser Weise auch egal.

Markus: Für mich grenzt es an ein Wunder, daß wir schon über sechzig Stunden hier sind. Das glaubt einem keiner. Es gibt sogar schon freundschaftliche Beziehungen zu Nachbarn.

taz: Würdet Ihr durch eine Räumung etwas verlieren?

Markus: Die Utopie zerfällt.

Christian: Ich hätte nichts verloren. Aber die Stadt würde die Möglichkeit verlieren, Nischen mit Funktion zu besetzen und nicht alles auf Fassade beruhen zu lassen, was für mich Inbegriff nicht nur von Schönbohms Politik, sondern auch von der des Stadtentwicklungssenators Strieder ist.

TAZ-BERLIN Nr. 5518 vom 28.04.1998 Seite 23 Berlin 115 Zeilen Interview Gereon Asmuth


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