«Bewegte St. Güller» demonstrierten friedlich in der vorweihnachtlichen Altstadt


Um die 100 Jugendliche haben am Samstag in der Altstadt für «Freiräume ohne Kommerzzwang» und «gegen die Kriminalisierung von Hausbesetzern» demonstriert. Die Kundgebung verlief friedlich. Es gab auch danach keine Zwischenfälle.

Einige Minuten vor 14 Uhr hat sich ein Dutzend «bewegte Güller», wie sich die Kundgebungsteilnehmer auf einem Flugblatt selber nennen, im leichten Schneetreiben beim VBSG-Pavillon auf dem Bahnhofplatz versammelt. Uniformierte der Stadtpolizei haben ein Auge auf die Jungen, die unter anderem einen Einkaufswagen voller Bierflaschen und Transparente mitführen. Bunt gemischte Gruppe Spannung liegt in der Luft: Ende November 1999 hatten etwa 100 Autonome in St. Gallen demonstriert. Die Kundgebung verlief friedlich, aber im Nachgang dazu wurde das leer stehende städtische Haus Tellstrasse 20 besetzt. Bei der Räumung kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Besetzern und Polizei. Eine erste Gruppe Besetzer wurde dafür - und die Besetzung des alten Restaurant Bavaria von Anfang November 1999 - kürzlich vor Bezirksgericht verurteilt. Aufgrund dieser Vorgeschichte ist das Medieninteresse an der Demo beträchtlich: Neben lokalen Medien sind eine nationale Presseagentur und eine Fernsehstation auf dem Bahnhofplatz vertreten. Die Schar der Demonstrantinnen und Demonstranten hat inzwischen Zulauf erhalten. Eine Gruppe Punks ist mit dem Zug aus Richtung Zürich gekommen. Kurz nach 14 Uhr haben sich nach Schätzung der Polizei etwa 100 Personen versammelt. Die meisten sind aufgrund ihrer Montur der Punkszene zuordenbar. Andere gehören nicht offensichtlich einer Gruppe an. «Ich will einfach so leben können, wie ich will. Mit Politik habe ich nichts am Hut, die sollen uns in Ruhe lassen», sagt eine junge Frau.

Einige Jusos haben sich unter die Demonstrationsgruppe gemischt:

«Viele Junge stehen vor dem Problem, dass sie keinen Ort haben, an dem sie sich ungezwungen und ohne Konsumzwang treffen können - und für Angehörige von Gruppen wie den Punks ist es doppelt schwer, sich irgendwo aufzuhalten», kritisiert einer mit Blick auf das Aufenthaltsverbot für Punks im Hauptbahnhof. Mit etwas Verspätung bricht der Demonstrationszug in Richtung Altstadt auf. Es geht im grössten Weihnachtsrummel die Kornhausstrasse hinauf, durch die Vadianstrasse in die Multer-, Markt- und Neugasse, dann wieder via Vadian- und Kornhausstrasse zum Bahnhof. In Sprechchören wird ein AJZ oder eine AKW, eine Autonome Kulturwerkstatt, gefordert. «Tote Kultur in dieser Stadt haben wir schon lange satt» oder «Die Besetzer werden kriminalisiert, unsere Anliegen ignoriert» ist auf Transparenten zu lesen. Passantinnen und Passanten reagieren unterschiedlich auf die Demonstrierenden. Junge solidarisieren sich mit dem Anliegen der Kundgebung: «Wenn wir solche Treffpunkte hätten, wäre auch das ständige Geschrei dagegen, dass wir uns im Sommer auf Dreilinden aufhalten, vom Tisch», bringt eine modisch gekleidete junge Frau diese Haltung auf den Punkt. «Wie können die nur so 'verlottert' herumlaufen», entsetzt sich dagegen eine alte Frau. Ein Mann mit Krawatte findet es - lautstark - «durchaus gut, dass sich die Jungen für ihre Anliegen mit demokratischen Mitteln wehren». Zwei alte Männer finden die Kundgebung «tumms Züg».

Zurück auf dem Bahnhofplatz spricht einer der Organisatoren der Kundgebung. Er beschreibt «den Missmut» jener jungen Leute, denen es unmöglich gemacht werde, «sich ausserhalb des Etablierten zu entfalten», die den Konsum ihrem Leben anpassen und sich nicht vom Konsum beherrschen lassen wollten. Überall werde in St. Gallen «abgerissen, geplant, luxussaniert, überbaut, betoniert». Der Sprecher der Demonstrierenden forderte einen Treffpunkt «an der Wärme», wo man sich jederzeit ohne Konsumzwang und Regeln treffen könnte, preisgünstigen Wohn-, Kultur-, Lebens- und Freizeitraum, Erhaltung von billigem Wohnraum und Freiraum mit Preisniveau für Lehrlinge, Schülerinnen und Arbeitslose. Weiter wandte er sich gegen «die Kriminalisierung von Hausbesetzerinnen und -besetzern».

St.Galler Tagblatt, 18.12.2000


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