Artikel zu Pali/kleinen Hamburger aus der Interim:


Neue Räumungsoffensive des Berliner Senats
gegen die besetzten Häuser

Worauf die ganze Nation seit Monaten wartet, ist jetzt Dank der Unterstützung von Polizei und dem neuen Berliner Innensenator Wirklichkeit geworden: Nach Monaten Dauerfrost endlich doch noch ein heißer Winter. Das meteorologische Institut in Potsdam fand jedoch auch nach Rückfrage der Interim Redaktion keine plausible Erklärung dafür, daß die Tiefdruckgebiete vorwiegend über den Berliner Stadtbezirken Friedrichshain und Mitte zu einer starken Erwärmung mit temporärer Gewitterneigung führten. Damit nun auch die interessierten LeserInnen aus den durch dichten Nebel behinderten Regionen von Kreuzberg bis Rio de Janeiro endlich Durchblick bekommen, werden hier die brandheißen News der letzten Tage noch einmal gebündelt dokumentiert.

 Pali Räumung

Am Dienstag, den 26. März um acht Uhr morgens stürmte ein grün weißer Räumtrupp die Palisadenstr.49. Die BewohnerInnen wurden von dieser völlig unerwarteten Räumung im Schlaf überrascht. Die geräumten BesetzerInnen hatten kaum Zeit, ihre nötigsten Sachen zu Packen. Festnahmen gab es keine, die ganze Räumungsaktion lief aufgrund der Bullenübermacht und fehlender Möglichkeit zur Gegenwehr verhältnismäßig friedlich ab. Über Infokette wurde ab acht Uhr dreißig vor das Haus mobilisiert. Bis zum Nachmittag stand eine wechselnde Gruppe von UnterstützerInnen vor dem Haus und beobachtete, wie dieses sofort vollständig unbewohnbar gemacht wurde. Der Versuch, sich über eine Einstweilige Verfügung über das Gericht wieder ins Haus einzuklagen, scheiterte.

Mit dieser Räumung versucht der neue Innensenator Schönbohm offensichtlich, die Berliner Linie auszuhebeln, die zumindestens den sog. Altbesetzungen einen gewissen rechtlichen Schutz und eine Art Duldung zubilligt. Die Palisadenstr. 49 ist die erste Räumung eines altbesetzten seit dem 3. Januar 1991. wo ebenfalls im Friedrichshain drei Häuser abgeräumt wurden. In den letzten Jahren gab es zwar immer wieder zwischendurch Versuche, Häuserräumungen durchzusetzen, diese Initiativen scheiterten aber immer an der Einstellung der Wohnungsbaugesellschaften und auch des Senats, sich nicht mehr die Finger schmutzig zu machen. Das unangenehme Geschäft von Räumungen wurden auf rückübereignete Privateigentümer abgewälzt. Zugleich gab es immer wieder Fälle, in denen BesetzerInnen ihren Duldungsanspruch gegenüber PrivatbesitzerInnen und Wohnungsbaugesellschaften gerichtlich durchsetzen konnten. Die Rigaer Str. 83 hatte z.B. über eine Feststellungsklage eine damals noch von der WBF geplante Räumung abwenden können. In der Kastanie 77 konnte eine Räumung durch einen privaten Schlägertrupp nur durch die sofortige Alarmierung der Polizei verhindert werden, die sich aufgrund der Rechtslage damals auf die Seite der BesetzerInnen stellte. Der Linienstr. 178/79 war es sogar gelungen, sich nach vollzogener Räumung nachträglich in ihr Haus zurückzuklagen und den Zustand der Bewohnbarkeit per gerichtlicher Anordnung wiederherstellen zu lassen.

Damit ist jetzt offensichtlich Schluß. Wie eine Frau auf der großen HäuserräumungsVV in der Kinzigstraße sagte: Das ist "legal, illegal, scheißegal" von oben. Verkehrte Welt. Nach einer kurzen, offensiven Häuserkampfzeit und der Post Mainzer Phase, die von Seiten des Szene stark durch die Absicherung und den Ausbau ihrer Strukturen geprägt war und in der eine wirklich produktive, antagonistische Politik nur allzuoft an internen Querelen scheiterte, die aber auch gleichzeitig durch ein relativ niedriges Repressionslevel seitens des Senats gegenüber den besetzten Häusern gekennzeichnet war, folgt dem jetzt anscheinend eine dritte Phase, in der ein über Jahre währender relativer Zustand der Ruhe einseitig von Oben aufgekündigt wird.

Begründet wurde die Räumung mit der sehr offensichtlichen Lüge, die Pali habe im Februar leergestanden und sei erst im März neubesetzt worden. Mit dieser fadenscheinigen Aussage des Besitzers der Palisadenstr. 49, Peter Hellmich, die von der Polizei ungeprüft übernommen wurde, war eine rechtliche Pseudo Konstruktion geschaffen, um die Berliner Linie übergehen zu können. Das Haus wäre nämlich demnach weniger als ein Jahr besetzt und unterstände damit nicht dem Schutz einer Duldung. Diese ist ansonsten nur über ein langwieriges Verfahren aufkündbar, auf das sich Hellmich anscheinend nicht einlassen wollte. Später wurde allerdings in der schriftlichen Begründung zur Ablehnung der Einstweiligen Verfügung vom Gericht noch einmal darauf hingewiesen, daß diese Konstruktion nicht maßgebend sei für die Rechtmäßigkeit einer Räumung. Mit anderen Worten: Die alte Berliner Linie existiert nicht mehr, es ist vollkommen offen, wie die Situation der noch bestehenden besetzten Häuser momentan aussieht.

 Die Räumung der Kleinen Hamburger

Gleich am daraufolgenden Tag folgte der nächste Tiefschlag. Das ebenfalls seit rund sechs Jahren besetzte Haus in der Kleinen Hamburger Str. 5 in Mitte wurde geräumt. Hier fuhr der Senat eine andere Strategie. Ein Räumungsbefehl gegen eine einzelne Bewohnerin des Hauses diente hier als Vorwand, um gleich das ganze Haus mit abräurnen zu können. Mindestens zwei weitere Bewohner des Hauses, die sich dort polizeilich angemeldet hatten, waren anscheinend zuvor ohne ihr Wissen wieder abgemeldet worden. Der Räumungstitel gegen die einzige ordentlich angemeldete Frau mutierte so praktisch zu einem Räumungstitel für das ganze Haus. Spätestens nach dieser Räumung war klar: Die Initiative ging bei der Pali-Räumung zwar auch von dem Privateigentümer, aber vor allem vom Senat aus. Wenn nach über fünf Jahren erstmals wieder Häuser geräumt werden, und dann noch an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, kann nur eine auf oberster Ebene geplante Strategie dahinterstecken.

Auffällig ist die zeitliche Nähe der Räumungen zu der für die einen Tag später geplante Bündnisdemonstration gegen die Sparpläne des Senats. Von vielen Leuten wurde befürchtet, militante Anti Räumungs Aktionen könnten diese Demo spalten und somit die Ausweitung dieses Protestes begrenzen. Die Demonstration am Donnerstag blieb dann trotz allem ruhig, es war eine der größten Massendemonstrationen der letzten Jahre. Das Konzept, Räumungen als taktisches Mittel einzusetzen und abzulenken von der geplanten antisozialen Rotstiftveranstaltung des Senats, ging somit nicht auf.

 Durchsuchung der Linienstr. 158/59

Gleich am Donnerstag ging die Repression gegen die besetzten Häuser weiter. Die beiden Häuser Linienstr. 158/59 wurden von den Bullen durchsucht. Vorwand waren angebliche Steinwürfe auf Bauarbeiter. Diese Steinwürfe waren frei erfunden und entbehrten jeglicher realen Grundlage. Vier Zivis hatten sich anscheinend abgesprochen in ihren Aussagen und verschafften damit ca. dreißig OrdnungshüterInnen die Gelegenheit, ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl die Türe zu den Häuser gewaltsam aufzubrechen und in die Häuser einzudringen. In beiden Häusern nahmen diese daraufhin jeweils eine Person rnit, sammelten noch einen Besetzer auf der Straße ein und verschleppten alle drei auf die Wache. Es fand keine Hausdurchsuchung statt, nicht einmal eine Personalienaufnahme der restlichen Anwesenden. Das ist interessant, hätten die Bullen doch auch diesmal die Möglichkeit gehabt, gleich das ganze Haus zu räumen. Schließlich können besetzte Häuser aufgrund von schweren Straftaten sofort ohne Rücksicht auf die Berliner Linie und jede Form der Duldung geräumt werden. Das in diesem Fall nicht geräumt wurde, läßt Raum für Spekulationen offen. Es muß allerdings gesagt werden, daß eine Räumungsklage der Münchner Privateigentümer am gleichen Tag vom Amtsgericht abgewiesen worden war.

Das Ausbleiben der Räumung ist jedoch kein Grund zur Entwarnung. Erstens ist diese kurze Durchsuchung nur ein Glied in einer ganzen Kette von Repressalien gegen diese beiden Häuser und vor allem sitzen noch zwei von den Festgenommenen in Untersuchungshaft. Beide sind nicht im Besitz einer deutschen Staatsbürgerschaft, es wird erwartet, daß sie mindestens zwei Wochen im Knast bleiben. Allgemeine Situation der noch besetzten Häuser

Neben den vier genannten Häusern gibt es noch eine Reihe weiterer besetzter Häuser in Berlin. Allein in Friedrichshain sind noch folgende Häuser besetzt: Rigaer Str.77, Rigaer Str. 8O, Rigaer Str. 83, Liebigstr. 16 Hinterhaus, Kreutziger Str. 21, Scharnweberstr. 28, Kinzigstr.9 Vorderhaus, Kinzigstr.25/27, Niederbarnimstr. 23, Niederbarnimstr.24 und seit ungefähr einem Jahr auch ein Haus in Alt Stralau. In Lichtenberg ist die Pfarstr.88 noch besetzt. In West Berlin gibt es nach wie vor nur noch die beiden Häuser Marchstr./Einsteinufer, die seit Jahren um ihr überleben kämpfen (diese Liste ist nicht unbedingt vollständig).

Zusammen waren das mit den geräumten und durchsuchten Häusern bis vor wenigen Tagen noch neunzehn Besetzungen ohne Verträge. Jetzt ist natürlich klar, daß viele der restlichen besetzten Häuser das schlimmste Befürchten. In den letzten Tagen waren massiv Gerüchte im Umlauf, wer als nächstes dran sei. Im S036 hingen Zettel, demnach am Samstag die Räumung der Rigaer Str. 83 bevorstünde, der Privatbesitzer der Kreutziger Str 21 erzählte anscheinend "seinen" BesetzerInnen, der Privatbesitzer der Scharni 28 hätte ihm gesagt, dort würde in den nächsten zwei Wochen geräumt etc. Die Folge dieser Gerüchteküche ist eine vollständige Verwirrung in der Scene über die tatsächlichen Facts.

Klar ist eigentlich erstmal nur soviel: Wirklich akut räumungsbedroht ist nach wie vor das Vorderhaus der Rigaer Str. 80. Dort wohnt seit ca. 2 Monaten eine Gruppe von jungen Punks. Im Gegensatz zum Hinterhaus, welches ebenfalls schon seit Jahren besetzt ist, verfügen die Leute aus dem Vorderhaus über wenig Perspektive, drinnen zu bleiben. Übrigens gibt es die Befürchtung, im Falle von militanten Aktionen gegen eine eventuell Räumung könnte das Hinterhaus nach ASOG doch gleich mit abgeräumt werden.

Sicher ist auch, daß es am Mittwoch im Einsteinufer gebrannt hat und daraufhin ein Seitenflügel von der Baupolizei gesperrt wurde. Eine Brandstiftung ist allerdings nach dem aktuellen Informationsstand nicht sehr wahrscheinlich. Wie auf der zweiten Häuser VV in der Grüni am Sonntag, dem 31.März herauskam, gibt es z.Z. über fast kein Haus verlässliche Informationen. Selbst die BesetzerInnen der einzelnen Häuser selbst haben oft keine Ahnung über ihre Zukunft und über den genauen eigentumsrechtlichen Status ihres Hauses.

Die Liebigstr. 16 hat seit kurzem einen neuen Eigentümer. Bislang ist es den Liebig Bewohnerlnnen noch nicht gelungen, den Namen des Eigentümers herauszubekommen. Da bislang erst relativ wenige Leute auf das Haus angemeldet waren, wollten sich noch schnell einige Leute im Haus anmelden, was ihnen auf dem Meldeamt allerdings verwehrt wurde. Auf den beiden VV s kam auch heraus, daß dies allgemein eine neue Strategie zu werden scheint. Menschen, die in besetzten Häusern gemeldet sind, werden abgemeldet, Neuanmeldungen werden abgewiesen. Allgemein wurde die Lage so eingeschätzt, daß wir ein besonderes Augenmerk auf diese neue Entwicklung legen müssen. Angeregt wurde noch einmal, auf jedenfall Schutzschriften beim Amtsgericht zu hinterlegen, mit denen im Ernstfall nachgewiesen werden kann daß das Haus durchgängig von mehreren Leuten bewohnt war.

 Aktionen gegen die Räumungen

Sowohl am Dienstag in Friedrichshain als auch am Mittwoch in Mitte gab es eine Spontandemonstration mit 300 bzw. 150 Leuten. Die beiden Demonstrationen verliefen relativ friedlich, in Mitte wurden die Demo Teilnehmerlnnen jedoch nach einem längeren Hin und Hergerenne eingekesselt, wobei es zu mindestens einer sehr unschönen Festnahmeszene kam. Im Anschluß an die zweite Demo liefen verteilte Grüppchen noch länger in den Kiezen herum, am Helmholzplatz flogen bei einigen Läden die Scheiben ein. Der Polizei fehlte nach der Auflösung der Demo anscheinend der Uberblick, die Einschätzung vieler Leute nach wäre an Kleingruppenaktionen noch einiges möglich gewesen. Traurigerweise verlief gerade der Mittwoch Abend sehr chaotisch, kein Mensch hatte sich im Vorneherein schon mal sinnvolle Treffpunkte überlegt. Am Helmholtzplatz Randale zu machen war sicherlich nicht die beste Idee, da es dort bekanntlich fast nur kleine Läden gibt.

In der Nacht zu Dienstag gab es schon eine Scherbennacht in der nördlichen Friedrichstraße sowie in Friedrichshain, wo ein Ladengeschäft in der neuerbauten Allee Passage erst brannte und danach durch Löschwasser schwer beschädigt wurde. Der Anschlag in der Allee Passage richtete sich mit Sicherheit zugleich gegen die Räumung des Hauses Rigaer Str. 27 im Januar, welches die Bayrische Hausbau, die nebenan die Allee Passage baut, abreißen lassen will.

Auch am Freitag knallte es kurz, diesmal in der Oranienstraße in Kreuzberg in einem neueröffneten Autosalon in der Mariannenstraße. Um dieses vorher jahrelange leerstehende und auch schon kurz besetzte Haus gab es lange Zeit vergebliche Bemühungen, dort ein Stadtteilzentrum einzurichten. Am Rosa Luxemburg Platz warfen am Samstag Mittag zwanzig Leute Scheiben von mehreren Geschäften ein und zerrten einen Bauwagen auf die Straße. Direkt vor der Palisadenstraße wurde kurze Zeit vorher ebenfalls Sperrmüll auf die Straße gezerrt. Auch Blockadeaktionen gab es an mehreren Tagen, allein am Mittwoch fünf nacheinander. Einige Blockaden verliefen äußerst unkoordiniert und chaotisch.

Am Sonntag fand vor dem Haus von Peter Hellmich eine kurze Kundgebung für die NachbarInnen statt. Anschließend gab es ein gemeinsames Kuchenessen mit bestimmt hundert Leuten vor der Pali. Die hundert eingesetzten Beamten sicherten derweil das Haus, hielten sich aber ansonsten merklich zurück.

Ziemlich durcheinander waren auch die beiden Vollversammlungen in Friedrichshain. Erstaunlicherweise kamen zu der ersten fast zweihundert Leute, ironischerweise mehr als TeilnehmerInnen auf der vorhergehenden Demonstration in Mitte. Das war ein deutlicher Ausdruck des allgemeinen Interesses, sich zu informieren und etwas zu unternehmen. Dieser Kraft konnte leider kaum eine entsprechende Form gegeben werden, da die ganze Diskussion viel zu unstruktururiert verlief. Letztendlich wurden mehrere Termine festgelegt, um in kleineren Rahmen besser planen zu können. Drei dieser Termine waren auf Donnerstag, 16 Uhr festgelegt, fast genau zu diesem Zeitpunkt wurden dann die Durchsuchungen in der Linie durchgeführt Zufall?

Als erstes Resümee der letzten Tage kann festgehalten werden, es gab eine Vielzahl von kleineren Aktionen, die gezeigt haben, daß auch 1996 nicht einfach ohne Gegenwehr Häuser abgeräumt werden können. In der Szene gibt es eine relativ explosive Stimmung und die Bullen wurden ziemlich auf Trab gehalten. Doch gingen fast alle Aktionen von Friedrichshain aus, die Szene aus anderen Bezirken war oft nur stark unterrepräsentiert bei vielen Aktionen vertreten. Das hängt mit Sicherheit auch von der schlechten und natürlich sehr kurzfristigen Terminweitergabe und dem schlechten Informationsfluß im allgemeinen ab. Hoffentlich wirken die letzten Räumungen und anschließenden Reaktionen für die bevorstehenden Wagenburg und Häuser Aktionstage als starker Mobilisierungsfaktor. Jetzt ist es sehr wichtig, die aufgestaute Wut und Kraft nicht einfach verpuffen zu lassen, sondern zumindestens für die große Demo am 12. April noch einmal gut zu mobilisieren.


zurück zur Hauptseite