aus Interim 399 28.11.1996
 TACHELES: Ein Lehrstück über das Leergrundstück


Es geht hier nicht darum das Tacheles zu einem wichtigen politischen Projekt in der Stadt zu stilisieren, welches es zu verteidigen gilt. Das Tacheles hat sich in seiner Entwicklung schon lange davon verabschiedet ein Ort des Widerstandes zu sein ( wenn es je einer war), es steht eher in einer Linie mit alternativen Kultureinrichtungen wie der UFA Fabrik oder dem Tempodrom, welche sich gerne als Aushängeschild des Senats betätigen. Es ist aber dennoch interessant wie sich der Umgang von für die Stadtentwicklung entscheidenden Institutionen mit für sie schwierig zu händelnen Menschen (das Tacheles wurde als anarchischer Ort bezeichnet) im konkreten abspielt.

Am 11.06 96 fand im Theatersaal des Tacheles eine Podiumsdiskussion statt. Thema war die künftige Stadtentwicklung von anarchisch/kulturell genutzten Orten in der Stadt im allgemeinen und am Beispiel Tacheles im konkreten. Besetzt war das Podium mit dem Architekten des Tacheles als Moderator, einer Frau vom Senat, einem Typ vom Sanierungsträger und einem Prof. der HUB. sowie von zwei Leuten vom Tacheles selber und Toni Pfeiffer, die als Verhändlerin zwischen den Beteiligten und für die Vermarktung des Grundstücks vom Investor (Fundus Gruppe) eingesetzt wurde.

In den Tagen vor der Veranstaltung war der städtebauliche Entwurf des "Johannisviertels" durch die Presse gegangen (das "Ei am Tacheles"). Es handelt sich hierbei um das Areal hinter dem Tacheles zwischen Friedrichsstrasse und Oranienburgerstrasse, welches von Tacheles als Freigelände für diverse Performences u.ä. genutzt wird.

Am Anfang der Diskussion stand die allgemeine Bekundung aller, daß Tacheles als wichtigen Ort der Berliner Kulturszene unbedingt erhalten zu wollen. Die Senatsdame verkündete die seit drei Jahren funktionierende Kooperation zwischen Investor, Planern, Tacheles u.a.. Frau Pfeiffer erzählte ähnliches und stellte nochmals heraus wie sehr das Tacheles in den Planungsprozeß mit einbezogen ist.

Dieses sich sonnen in der Darstellung wie wunderbar alternativ alles abläuft, kippte komplett, nachdem dann endlich einer der Vertreterlnnen des Tacheles klarstellte, daß dies sich aus seiner Sicht alles völlig anders darstellt. Aus der darauf folgenden hitzigen Debatten und den gegenseitigen Vorwürfen ließ sich herausfiltern. daß seit einem halben Jahr (Nov. 1995) quasi gar keine Verständigung mehr stattfand. In den 2 1/2 Jahren zuvor es wohl zu vielen Gesprächen gekommen war und "gemeinsames" Vorgehen entwickelt wurde, jedoch immer wieder mit verschiedenen Gruppen des Tacheles, wobei sich die offizielle Seite über die häufig wechselnden Vorständler etc. beschwerte. wodurch eine Kontinuität wohl nicht gewährleistet war. Eine altbekannte Folge davon, daß sich auf der einen Seite hochbezahlte Profis und auf der anderen gestreßte "Betroffene" befinden', welche dafür weder bezahlt werden noch ständig Zeit haben. Diese wechselnden AnsprechpartnerInnen des Tacheles sind denn auch offensichtlich gezielt ausgenutzt worden um Gruppen und Personen des Tacheles gegeneinander auszuspielen.

In der weiteren Diskussion wurde deutlich unter welchem Druck auch die Verhandlerin (Fr. Pfeiffer) steht. Die Vorgabe im Nacken, daß die Grundstücke möglichst schnell vermarkten zu müssen und dabei Interessenten zu finden welche bereit sind, das Tacheles zu akzeptieren und mit einzubinden. Dies führte im Ablauf dazu, daß nach 3 Jahren Suche und Diskussion, die Pläne innerhalb von nur zwei Wochen genehmigungsfähig sein mußten. Kein Wunder also, daß es da schon allein zeitlich gesehen nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen konnte/sollte. Dies wird von den "Offiziellen" natürlich nach wie vor anders dargestellt. Es wurde sich halt auf die Leute bezogen welche zu dem Zeitpunkt noch an der Entwicklung teilnahmen, als andere schon ausgebootet waren oder das Projekt so abgeschrieben hatten

Die Versuche der Frau Pfeiffer das Ganze doch noch ins richtige soziale Licht zu rücken, sahen dann so aus, daß sie auf den hohen Anteil ( 40%) Wohnnutzung hinwies, mit angeblich großen Wohnungen, in die dann auch türkische Familien einziehen könnten Ansonsten sind in der Innenstadt max. 30% Wohnnutzung geplant mit 80% 1 2 Zimmerwohnungen. Dem Hinweis, daß die Wohnungen natürlich nicht von diesen Mietern bezahlbar sein werden, begegnete Frau Pfeiffer mit dem Verweis, daß Sie ja keinen Einfluß darauf hatte, daß die Kontingente des sozialen Wohnungsbaus nach Karow "an die Stadtränder" vergeben wurden.

Auch sprach Sie von der vorgezogenen Bürgerbeteiligung, was sich ja erstmal positiv anhört. Auf Nachtrage stellte sich aber heraus, daß hier ohne Absprache die einzuhaltenden Verfahrenswege einfach möglichst schnell durchgezogen wurden

Die Ambivalenzen des Tacheles dazu, was mit dem Areal passieren soll, wurden dann einerseits durch zwei Diplomarbeiten dokumentiert, welche vom Tacheles als Gegenvorschläge zur offiziellen Planung vorgestellt wurden. Andrerseits war auch davon die Rede, daß zu überlegen sei ob das Tacheles um jeden Preis erhalten werden solle und man/frau nicht bereit sei "hinter C&A Rohre zu schweißen". Überhaupt wolle das Tacheles natürlich eigentlich gar keine Bebauung. Aber die Erkenntnis, daß dies wohl eh nicht zu verhindern sein würde, hatte das Tacheles schon vor drei Jahren dazu veranlaßt ein Stiftungskonzept vorzulegen. Dieses wurde jedoch vom Senat als unrealistisch abgelehnt. Letztendlich wird es wohl auch so laufen, wie es der Mensch vom Sanierungsträger bereits zu Beginn feststellte: Der Investitionsdruck auf das "Johannisviertel" wird so groß sein, daß in jedem Falle eine Bebauung des Freigeländes stattfinden wird und darüber hinaus es so aussehen wird, daß das neu entstandene Viertel die Umstrukturierung der angrenzenden "Spandauer Vorstadt", nördlich der Oranienburgerstrasse, mit sich bringen wird. Beide Viertel haben eine derart zentralen Lage, daß dies unvermeidlich ist.

Ein Denkmalschützer aus dem Auditorium stellte abschließend auch noch mal klar, daß die gegensätzlichen Interessen einfach nicht vereinbar seien und das Tacheles so wie es in den letzten Jahren existierte, nicht zu erhalten sein werde.

Interessant ist die Pufferfunktion der Frau Pfeiffer, welche diese nicht zu vereinbarenden Interessen, Erhalt des Aushängeschilds Tacheles (ohne das die Aktuelle der "anarchischen Kultur" abspringen) und eine hohe kommerzielle Ausnutzung des Grundstücks unter einen Hut bringen soll. Mit ihr wurde eine Person ausgewählt, die schon durch Ihr Auftreten im Tacheles einiges an Kräften und eventueller Gegenwehr gegen die geplante Vereinnahmung zu binden in der Lage war. Es handelt sich um eine äußerst extrovertierte Frau die ihre vermutlich US amerikanische Herkunft u a. durch einen zur Schau getragenen Amislang herausstellt und desweiteren ihre von ihr benannte halbseitige Lähmung dazu nutzte emotional an die "Tachelesleute" heranzukommen, bzw. auch inhaltliche Gespräche damit vermengt (O-Ton "Tacheles": "Wir kennen ihre ganz Krankengeschichte", jedoch offensichtlich nicht ausreichend die nötigen Infos). Es ist sicher kein Zufall daß eine solch "schillernde" Persönlichkeit in die Konfrontation mit der zu vereinnahmenden "anarchisch/dynamisch/kreativen" Subkultur geschickt wurde.

 Die aktuelle Entwicklung

Nach der zugespitzten Situation vor einem halben Jahr, mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen und den scheitern eines wirklich gemeinsamen Konzeptes, verschärfte sich die Lage in den letzten Wochen und Monaten nochmals Die Oberfinanzdirektion (OFD), welche das Grundstück übergangsweise verwaltet, droht mit Räumung, da der OFD die Vermarktung zu lange dauert. Somit hat auch hier die OFD, wie schon in anderen Fällen (Wagenburgen etc.) die Drecksarbeit für den Bund übernommenen.

Diese Räumungsdrohung nahm dann der ach so hochgelobte, alternativ/kulturell befließene Investor Jagdfeld (Fundus) zum Anlaß, sein Mietangebot an das Tacheles nun auf zehn Jahre zu beschränken. Zusätzlich schwang die OFD noch die Keule der baupolizeilichen Mängel und setzte den Räumungstermin auf Mitte November fest. Die starke öffentliche Reaktion veranlaßte, daß die Mängel nach einer inszenierten Begehung, dann doch plötzlich nicht mehr so groß waren und ein Aufschub bis Ende des Jahres gewährt wurde.

So gilt auch für das Tacheles die Devise stirb oder friß (die beschissenen Vertragsbedingungen). Aber gestorben ist es durch die Kommerzialisierung ja eh schon.


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