Risikogruppe Polizei - wieviel Grün verträgt Berlin?


Teil 1 - Hysterie statt Politik: Die Diskussion um Sicherheitskonzepte ufert aus


Peinlich, wie die Politik und die versammelte Journaille im Kanon nach New Yorker Verhältnissen ruft. Wider besseres Wissen wird eine Panikstimmung verbreitet, die nur ein Ziel haben kann: Die Aufrüstung Berlins zur Hochsicherheitszone. Dabei ist die Kapitale schon lange Polizeihauptstadt. Ein Bericht von Jeannette Goddar.

Berlin ist also doch eine Metropole. Ein braungebrannter Bill Bratton, der Supercop der USA, der binnen weniger Jahre New York von einem Moloch zum paradiesischen Sicherheitstrakt für Normalbürger umfunktioniert hat, lieferte bei seinem Besuch den Beweis: Berlin ist wie New York - nur vor zwanzig Jahren. Auch hier wird gebettelt, gesprüht, gesoffen und gedealt, auf offener Straße und vor den Augen einer macht- oder willenlosen Polizei. Brattons Devise ist klar: "Do, as I did", und mehrere hundert Zuhörer, nicht wenige in Uniform, nickten euphorisch - auch wenn die Bilder, die er benutzte, so manchen stutzig machten: Das mit der Verbrechensbekämpfung sei wie mit dem Kampf gegen Malaria, so Bratton: Über Jahre habe man sich damit begnügt, die Moskitos totzuschlagen, anstatt die "Sümpfe und Moraste trockenzulegen", die die Moskitos produzieren. Aber heute würden sie "Schlachten gewinnen", - wenn auch noch nicht den "Krieg".

Steht die Polizei kopf? Bild: Steht die Polizei kopf?

Das Thema Innere Sicherheit hat Hochkonjunktur und auch in Berlin gibt es kein Halten mehr. CDU-Hardliner Klaus Landowsky fordert in Zeitungsanzeigen "Waffengleichheit mit den Kriminellen" für die Polizei. Innensenator Jörg Schönbohm wittert eine "Verrohung der Gesellschaft und eine Verwahrlosung der Stadt" und will "den Anfängen wehren!" Selbst der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Georg Lorenz, sieht Brattons Konzept in Übereinstimmung mit sozialdemokratischen Prinzipien, wenn es darum geht, daß "die Polizei besser eingreifen können muß". Als Kritiker verbleiben der heimliche Oppositionsführer Wolfgang Wieland vom Bündnis 90/Die Grünen (siehe Streitgespräch) sowie die PDS, die allerdings wegen ihrer Forderung, bei der Polizei 7.000 Stellen abzubauen, an Brattons Besuch nicht teilhaben durfte. Und einer, der sich mit der simplen Feststellung, Berlin sei nicht New York und die Polizei nicht der Erzieher der Nation, ins Kreuzfeuer der Kritik seiner KollegInnen begibt: Polizeipräsident Hagen Saberschinsky.

Denn der Besuch aus New York kam auf Einladung einer Berliner Polizei, die zur Zeit unter der Überschrift "Aufstand der Ordnungshüter" vor sich selber warnt: Angesichts der Sparmaßnahmen könne man für die Sicherheit leider nicht mehr garantieren, heißt es in den Flugblättern der Gewerkschaft der Polizei, mit denen sie bereits 35.000 Unterschriften gesammelt hat. Und: "Wir wollen keine schlecht bezahlte und unmotivierte Polizei, die ihr Gehalt durch Korruption und Willkür aufbessert." Hintergrund ist eine Auseinandersetzung mit Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing, die die Streichung von 2.000 Stellen bis 1999 durchgesetzt sowie diverse bereits beschlossene Verbesserungen der Aufrüstung der Polizei vorerst auf Eis gelegt hat. Jetzt ruft die GdP nach dem New Yorker Vorbild - schließlich wurde dort im Zuge der Rückeroberung von Manhattan und Brooklyn massiv aufgerüstet.

Dabei steigt die Kriminalität in Berlin nicht annähernd so stark wie die Angst vor ihr: Ein Plus von 3,8 Prozent verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 1996 in dem für die Angst der Bevölkerung entscheidenden Bereich "Gewaltkriminalität", in den sämtliche Delikte von Körperverletzung über Raub bis Mord fallen. Insgesamt machen Gewaltdelikte knapp vier Prozent der Gesamtkriminalität aus. Und selbst die Berliner Morgenpost mußte bei ihrer Recherche der Gewalt in U- und S-Bahnen erkennen, daß zwar mehr geklaut und kaputtgemacht wird, Raub- und Körperverletzung aber abnehmen.

Wesentlich stärker steigen Wirtschafts- und Umweltdelikte mit Steigerungsraten von 41,4 beziehungsweise 66,4 Prozent. Wider Erwarten ist bei der Wirtschaftskriminalität auch die Aufklärungsquote mit 94,8 Prozent auffallend hoch. Erfaßt werden, das macht die PKS im übrigen genauso wenig treffsicher wie jede andere Statistik, allerdings nur Delikte, von denen die Polizei überhaupt erfahren hat. Unter "steigend" verbucht werden Sach beschädigung, Ladendiebstahl und Betrug, unter "sinkend" schwerer Ladendiebstahl , Wohnungseinbruch sowie Straf taten gegen das Ausländergesetz.

Insgesamt wurden 1996 fast 600.000 Delikte registriert, von denen weniger als die Hälfte aufgeklärt wurden. Auf der anderen Seite verfügt Berlin aber aus alten Frontstadtzeiten über eine Polizeistärke, die mit keiner anderen deutschen Großstadt vergleichbar ist: 8,3 Polizisten kommen hier auf 1.000 EinwohnerInnen. Sogar im gern als vorbildlich zitierten New York ist die Polizei demgegenüber nur etwa halb so stark. Doch von den knapp 30.000 Polizisten sitzen nicht wenige am falschen Platz oder jedenfalls dort, wo man sie nicht erwarten würde. Die Untersuchung der Firma Mummert und Partner, die im Auftrag der Senatsinnenverwaltung die Reform der Polizei betreut, wirft wenig Glanzlichter auf die Ordnungshüter:Über ein Drittel des Basisdienstes arbeitet überwiegend im Büro und verrichtet Verwaltungstätigkeiten. Und auch die, die überwiegend draußen arbeiten, verbringen fast ein Drittel ihrer Zeit mit Schreibkram, Verwaltung oder Fortbildung - vom "Hexenkessel", den der Focus unlängst kolportierte, keine Spur. Der seit der Abschaffung der Reviere für die Bürger zuständige "Kontaktbereichsbeamte" geht üblicherweise um 15 Uhr nach Hause - ist also für die arbeitende Bevölkerung faktisch nicht zu sprechen. In vielen Bereichen, so Mummert und Partner, sei au ßer dem die Verwaltung zu aufwendig und ineffizient, das 12-Stunden-Schichtsystem führe zu enormen Freizeiten, zuviele Kapazitäten würden in die Bekämpfung von Klein- und Bagatellkriminalität gesteckt.

Mit Beginn der lange verschobenen Polizeireform soll ab Herbst alles anders werden: Die Schutzpolizei soll stärker in die Verbrechensbekämpfung einbezogen werden, mehr Polizisten sollen auf der Straße sichtbar sein, Polizeiarbeit soll "bürgernäher" werden. Dieses "Berliner Modell", so Saberschinsky, soll eine "Berliner Antwort" auf die veränderte Sicherheitslage geben.

Dabei ist kaum zu übersehen, daß die New Yorker Aufräumungstrategie schon ein fester Bestandteil von Berlin ist: Längst wurden der Alexanderplatz, das Kottbusser Tor und der Breitscheidplatz zu "gefährlichen Orten" erklärt, an denen die Polizei laut Allgemeinem Sicherheits- und Ordnungsgesetz relativ beliebig Platzverweise erteilen und von Verdächtigen aller Couleur Fotos machen darf. Auf Druck der überwiegend aus Kudamm-Geschäftsleuten bestehenden AG City wurde 1993 die 22-köpfige Operative Gruppe City West gegründet. Damit, so damals der OG-City-Leiter Jürgen Gustavus, habe man den "Bereich so im Griff, daß er bei Touristen und Normalbürgern kein Unsicherheitsgefühl hervorruft". Allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres überprüfte die OG City 4.075 Personen, erteilte 5.143 Platzverweise und erstattete 346 mal Strafanzeige. Ähnlich arbeitet eine Gruppe rund um das Kottbusser Tor. Die OG-Kotti war Saberschinsky eine Zeitlang bei jeder 1.000sten Fest nah me eine Pressemitteilung wert.

Überprüfte Personen wandern oft genug ins Archiv: Dateien der Berliner Polizei kennen 3.500 Brandstifter, aber auch nicht spezifizierte "Verdächtige", 5.000 Zuhälter und Menschenhändler, aber auch einfache Prostituierte, sowie 217 Olympia-Gegner.

Seit Schönbohms Antritt, der die Verhinderung von Bewegungen gegen die "Hauptstadt Berlin" zur polizeilichen Aufgabe erklärt hat, gilt das Hauptaugenmerk neben besetzten Häusern der Graffitibekämpfung: 2.584 Vorgänge zählte die eigens gegründete Ermittlungsgruppe Graffiti in Berlin im vergangenen Jahr. Schönbohm denkt außerdem darüber nach, "aggressives Betteln" in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Und um Berlin noch hauptstädtischer zu machen, werden 760 Bundesgrenzschützer zum Schutz des Regierungsviertels erwartet.

New Yorker Verhältnisse? Bild: New Yorker Verhältnisse?

In Berlin ist die Polizeidichte fast doppelt so hoch. (Foto: Jose Giribas/Gegendruck)

Außer den Grünen und der PDS protestieren vor allem Vertreter von Junkies, Obdachlosen und Jugendlichen seit Jahren gegen die zunehmende "Militarisierung des öffentlichen Raums". "Wir haben es längst mit Auswüchsen wie in New York zu tun", sagt ein Mitarbeiter des Streetworker-Vereins Gangway e.V.. "Es gibt massive Einsätze gegen Schwarzfahrer und auch die Polizei hat schon enorme Befugnisse." Daß die Polizei mit "immer neuen Mitteln Leute aufscheucht", bestätigt auch Astrid Leicht vom Drogenhilfeverein Fixpunkt e.V. "Wie ist es sonst zu erklären, daß der U-Bahnhof Kottbusser Tor abgesperrt wird und 2.000 Leute kontrolliert werden?" Zumindest in diesen Gruppen besteht noch Einigkeit über die eigentlich banale Erkenntnis, daß man Randgruppen zwar verdrängen, aber nicht verschwinden lassen kann. Ein anderes Konzept wird seit ein paar Monaten in Friedrichshain, Neukölln und seit kurzem auch im Wedding erprobt.

Sogenannte "Kiezorientierte Gewalt- und Präventionsräte" sollen Bürger und Interessenvertreter an einen Tisch bringen und die subjektive wie objektive Sicherheit verstärken. In Neukölln wurde als erste Tat ein Ferienprogramm im Rollbergkiez auf die Beine gestellt, mit Basketball, Spiel- und Sportmobil und einem Anwohnercafé.

Ob es deswegen weniger Kriminalität gäbe, sei schwer einzuschätzen, räumt Jugendstadtrat Heinz Buschkowsky (SPD) ein. "Aber wir sind alle sehr gespannt, ob es klappt, die Leute dazu zu bringen, sich verantwortlich zu fühlen für das, was um sie herum passiert." Für den New Yorker Bratton steht das Resultat schon fest. Die veralteten Sozialarbeiter-Konzepte aus den 70er und 80ern muß man sich abschminken. Verantwortlich für die Entwicklung zu mehr Gewalt sei vor allem "eine zunehmend tolerante und lasche Gesellschaft und unsere Neigung, für abweichendes Verhalten eine Erklärung paratzuhalten".

Foto: Paul Glaser


zurück zur Hauptseite