Eine erfolgreiche Polizeistrategie muß anders aussehen Tagesspiegel vom 7.9.97

Eine Gegenposition zur Politik William Brattons: "Nicht in die Selbstinszenierung eines starken Mannes verrennen"

VON NORBERT PÜTTER

Ein Wunder geht um in Berlin, das "Wunder von New York". Und wie stets bei übernatürlichen Phänomenen können sie ihren Glanz umso mehr entfalten, wie das Publikum geneigt ist, statt den tatsächlichen Entwicklungen den Predigern Glauben zu schenken. Jene "bewundernde Aufmerksamkeit", auf die die Ausführungen von William Bratton, dem ehemaligen New Yorker Polizeichef, stießen (Tagesspiegel v. 28.8.), steht in dieser Tradition. Wer sich nicht in die Selbstinszenierung eines starken Mannes verrennen will, sollte einige Sachverhalte berücksichtigen.

Erstens: Herrn Brattons Auffassung von den Aufgaben und Tätigkeiten von Polizei und Justiz folgt einer einfachen Überzeugung. Sie lautet: Hartes Durchgreifen führt zu einem Rückgang der Kriminalität; und hart durchgreifen muß die Polizei bereits gegen alle Störungen im öffentlichen Erscheinungsbild einer Stadt, weil in der kleinsten Unordnung der Keim für schwere Straftaten, der Verfall ganzer Straßenzüge etc. lauert. Im Klartext unterstellt dieses Modell: Die Graffiti-Sprayer von heute sind die Gewalttäter von morgen. Die Auffassung zeugt von der Ignoranz gegenüber aller kriminologischer Forschung, die durchgehend zu dem Ergebnis kommt, daß abweichendes Verhalten Jugendlicher in aller Regel eine episodenhafte Erscheinung in einem bestimmten Alter ist.

Zweitens: Der Rückgang der registrierten Kriminalität in New York muß im Zusammmehang mit der Kriminalitätsentwicklung in den USA insgesamt gesehen, werden. Die Mordrate sank nicht nur in New York, sondern in .vielen, amerikanischen. Städten. Selbst in dem für seine Polizeiskandale berüchtigten Los Angeles ging die Mordrate in den letzten fünf Jahren um 37 Prozent zurück, Dieser Trend kann nicht auf eine bestimmte Polizeistrategie zurückgeführt werden. Viel wahrscheinlicher ist, daß der Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Umstand, daß die amerikanische Bevölkerung älter wird (d. h. der Anteil der besonders kriminalitätsbelasteten Jugendlichen zurückgeht) zu fallenden Kriminalitätszahlen führten.

Drittens: Um den besonders starken Rückgang in New York zu verstehen, muß zunächst darauf .'hingewiesen werden, daß es keinerlei Begleitforschung über Brattons Vorgehen gibt. Weder läßt sich deshalb sagen, welche seiner Methoden zu welchen Veränderungen führten, noch welche Nebenwirkungen und welche Kosten sie für wen verursachten.

Hingewiesen sei aber auf folgendes: Aufgrund von Korruptionsproblemen hatte sich die New Yorker Polizei in den 80er Jahren aus Brennpunkten' zurückgezogen. Begünstigt durch diese falsche Politik stieg die (Gewalt-Kriminalität in der Stadtüberdurchschnittlich an, Gegenwärtig hat man in New York nicht mehr als den allgemeinen Stand US-amerikanischer Großstädte erreicht. Jedoch sank die Mordrate in New York bereits seit 1990, unabhängig vom Polizeimodell Brattons, der erst 1994 sein Amt antrat. Die positiven Auswirkungen der vor einem Jahrzehnt vom damaligen Bürgermeister initiierten Projekte der Stadterneuerung werden schlicht ignoriert. Sie könnten den Glauben an das harte Durchgreifen stören. Übersehen wird häufig auch, daß Brattons Polizeiregime die Straftaten von Jugendlichen in New York nicht hat begrenzen können. Sie stiegen von 1993 bis 1996 um 17,5 Prozent.

Viertens: Während die vermeintlichen positiven Folgen mit einem Fragezeichen zu versehen sind, sind die Kosten einer solchen Politik offensichtlich: In den USA befinden sich gegenwärtig rund 1,7 Millionen Menschen in Haft; die Zahl der Häftlinge hat sich in den letzten zehn' Jahren verdoppelt. Im Staat New York wurden in den letzten Jahrzehnten 18 neue Gefängnisse gebaut. Kein Wunder, wenn für Brattons Durchgreifen noch Plätze frei waren.

Darüber hinaus ist offensichtlich, gegen wen sich eine solche Polizeipolitik richtet: Vor allem gegen Randgruppen, gegen solche Menschen, die sich in öffentlichen Räumen aufhalten und deren Normbrüche sich nicht hinter den Glasfassaden modernen Wirtschaftslebens oder den eingeigelten Trutzburgen bürgerlicher Wohnquartiere abspielen können. Übergriffe der Polizei sind zudem die Folge eines harten Managements nach innen und der erklärten Kriegserklärung nach außen. Eine dauerhaft erfolgreiche Polizeistrategie müßte anders aussehen. .

Da es keine Begleitforschung gibt, sind seriöse Aussagen über die Verdrängungseffekte nicht möglich. Brattons Dementi steht gegen Berichte, denen zufolge sich der Drogenhandel im benachbarten New Jersey ausgebreitet hat, Selbst wenn es zu keiner Verschiebung gekommen ist (eine nach kriminologischer Erfahrung unwahrscheinliche Möglichkeit), bleibt jedoch offen, wie sich die Lage in den nächsten Jahren entwickelt, zum Beispiel, wenn die wirtschaftliche Entwicklung wieder abwärts geht. .,

Fünftens: Es ist nicht ersichtlich, was in Berlin von Bratton gelernt werden sollte. Zu unterschiedlich ist die Ausgangslage und zu unterschiedlich sind die Vorstellungen über die Rolle der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat. Für die Müllbeseitigung gibt es die BSR. Die Polizei soll konkrete Gefahren abwehren, und Straftaten verfolgen. Sie soll keinen "Krieg gegen das Verbrechen" (Bratton) führen - von Kriegen (und dem Jargon der Kriegstreiber) dürften wir in diesem Jahrhundert wohl genug haben.

Der Prediger aus New York verkündet ein Wunder, das bei genauerer Betrachtung keines ist. In Wirklichkeit schmückt er sich mit fremden Federn und verschweigt die Nebenwirkungen seiner Rezeptur. Der Mann hat nach seiner Entlassung als Polizeichef eine Beratungsfirma eröffnet, die sein Polizeikonzept weltweit propagiert. Nun tingelt er über den Globus. Berlin täte gut daran, nicht auf seine Geschäftstüchtigkeit hereinzufallen.

Der Autor ist Privatdozent am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin


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